Ägypter wollen sofortigen Rückzug des Militärrats
Militärchef Tantawi kündigt an, bis Mitte kommenden Jahres die Macht an eine zivile Regierung übergeben zu wollen - das geht vielen Demonstranten auf dem Tahrir-Platz nicht weit genug.

Nach tagelangen blutigen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei ist auf dem Tahrir-Platz in Kairo am Mittwochmorgen Ruhe eingekehrt. Augenzeugen sagten, die Zahl der Protestierenden habe nach dem Massenprotest gegen den Militärrat in der Nacht deutlich abgenommen. Die Militärpolizei habe Polizisten und Demonstranten getrennt.

Der Militärrat, der im Februar die Macht von Präsident Husni Mubarak übernommen hatte, war am Vortag auf einige Forderungen der Opposition eingegangen. Er hatte den Rücktritt der umstrittenen Übergangsregierung angenommen und versprochen, die Präsidentschaftswahl im Juni abzuhalten. Viele Details im politischen Prozess sind jedoch noch unklar. Beispielsweise weiß niemand, welche Rolle der künftige Präsident spielen wird, denn nach der Parlamentswahl, die am kommenden Montag beginnen soll, wird eine neue Verfassung formuliert.

"Verschwinde": Demonstranten fordern Ablösung des Militärrats

In der Nacht zum Mittwoch harrten tausende Demonstranten auf symbolträchtigen Platz im Zentrum Kairos aus und forderten lautstark die Ablösung des Militärrats. Dessen Vorsitzender, Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi, hatte zuvor in einer Fernsehansprache einen Zeitplan für die Machtübergabe vorgelegt und Präsidentenwahlen bis spätestens Ende Juni angekündigt.

Auf nächtlichen Live-Bildern des arabischen Nachrichtensenders Al-Dschasira waren Demonstranten zu sehen, die die sofortige Absetzung Tantawis verlangten. "Verschwinde", skandierten sie und kündigten an, den Tahrir-Platz solange besetzt zu halten, bis ihre Forderungen erfüllt seien. Den Berichten zufolge kam es in den Seitenstraßen auch in der Nacht zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften.

In der Fernsehansprache hatte Tantawi vergeblich versucht, Vertrauen bei den Demonstranten zu gewinnen. "Die Streitkräfte wollen nicht an der Macht bleiben (...) Wir sind bereit, die Macht sofort abzugeben, notfalls auch nach einem Referendum", sagte der General. Der für kommenden Montag geplante Beginn der Parlamentswahlen soll trotz der Proteste und Gewalt nicht verschoben werden.

Scharfe Kritik äußerte Tantawi an den Demonstranten. Ägypten habe wegen der unsicheren Lage viele Investoren verloren, monierte er. Angesichts der fortdauernden Gewalt waren die Börsenkurse in Ägypten weiter gefallen.

Erneut Tote in Ägypten

Bei den seit Samstag andauernden Krawallen sind nach Angaben von Medizinern und Juristen mindestens 35 Menschen allein rund um den Tahrir-Platz ums Leben gekommen. Tausende sollen verletzt worden sein, viele durch Tränengas.

Am Dienstag waren zigtausende Anhänger von Linken, Liberalen, Islamisten sowie der Jugendbewegung "6. April" dem Aufruf von 38 Oppositionsgruppen gefolgt und waren auf den Tahrir-Platz gezogen. Am Rande gab es immer wieder blutige Zusammenstöße mit der Polizei.

Auch in der Hafenstadt Alexandria gingen zahlreiche Aktivisten auf die Straße. Nach Informationen von Al-Dschasira wurde dabei am Dienstagabend ein junger Mann von Sicherheitskräften getötet. In Ismailia im Norden des Landes waren nach Angaben staatlicher Medien bereits in der Nacht zuvor mindestens drei Menschen bei Protesten ums Leben gekommen.

Der Militärrat hatte nach dem Sturz des langjährigen Präsidenten Husni Mubarak im Februar dieses Jahres die Herrschaft übernommen. Der Tahrir-Platz war damals zum Symbol des Arabischen Frühlings geworden.

dpa