"Der Umgang mit der Vikarin ist ein Skandal"
Eine Vikarin in Württemberg darf nicht Pfarrerin werden, weil sie einen Muslim geheiratet hat: Der Fall sorgt gegenwärtig für Schlagzeilen. Kritik am Verhalten der evangelischen Landeskirche kommt auch aus den eigenen Reihen. Vor allem bei Fachleuten für den interreligiösen Dialog stößt die Entscheidung auf Kritik. Der Autor des folgenden Beitrags ist Studienleiter an der Evangelischen Akademie Bad Boll.
18.11.2011
Von Wolfgang Wagner

Der Apostel Paulus wusste noch, dass die Christen nicht allein auf der Welt sind, sondern diese mit anderen Menschen teilen. Und etliche verlieben und verheiraten sich über manche Grenze hinweg. Deswegen schrieb er den Korinthern. "Der ungläubige Mann ist geheiligt durch die Frau, und die ungläubige Frau ist geheiligt durch den gläubigen Mann." (1 Kor 7,14)

Nun war das lange für die Pfarrerschaft eine eher theoretische Angelegenheit. Seit Jahrhunderten heiratete man möglichst im gleichen Milieu. Deswegen störte es auch keinen, dass die Juristen Paragrafen ins Pfarrerdienstrecht schrieben, wo es in § 19 heißt: "Der Ehegatte eines Pfarrers muss der evangelischen Kirche angehören. Es wird von ihm erwartet, dass er den Dienst des Pfarrers bejaht. In Ausnahmefällen kann der Oberkirchenrat auf Antrag von dem Erfordernis nach Satz 1 befreien".

Menschen heiraten: Das sollte kein Problem sein

Doch in der Gegenwart ist manches anders, vielleicht eher wie es am Anfang in Korinth war: Menschen verschiedener Konfession und Religion leben miteinander, haben Kontakte und heiraten. Das sollte grundsätzlich kein Problem sein.

Es wird aber eines, wenn man 1. andere Religionen grundsätzlich für unwahr oder feindlich hält und 2. das Priestertum aller Gläubigen aufspaltet in Pfarrer und Laien und dann verschiedene Maßstäbe anlegt.

So haben wir nun den Fall, dass einer Vikarin mitten in der Ausbildung gekündigt wurde, weil sie einen Muslim aus Bangladesh geheiratet hat. Er hat sich positiv in die Gemeindearbeit eingebracht, ist bei den Jugendlichen beliebt. Wie man hört ist er von der Gemeindearbeit begeistert und wäre gern Pfarrmann geworden. Muslime haben oft eine sehr positive Sicht der Kirche. Traditionell kennen sie keine grundsätzlichen Widerstände, eine Christin zu heiraten. Der Kirchengemeinderat war zunächst wohl auch zur weiteren Zusammenarbeit bereit, schwenkte dann aber aus unbekannten Gründen um. Man würde gern wissen, welche Rolle Ausbildungspfarrer und Dekan dabei gespielt haben. Mit dem Abschluss des Vikariats nach dem 2. Examen wäre sowohl die Anstellung in einer liberaleren Landeskirche oder in der Schule denkbar. Auch eine internationale Tätigkeit wäre möglich. Das sollte alles nicht sein. So landet der Fall beim Gericht.

Öffentlicher Imageschaden beträchtlich

Und es ist skandalös, wenn der Oberkirchenrat mit dem andersgläubigen Ehemann gar nicht erst redet und die betroffene Vikarin in zwanzig Minuten abfertigt. Vollends dramatisch ist aber der Imageschaden in der Öffentlichkeit. Nicht nur Muslime fragen, wie ehrlich denn der christlich-islamische Dialog gemeint ist. Von Mission mag man schon gar nicht reden.

"Was hindert's, dass ich Christ werde?" fragte die 4. Tagung der 11. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Vom 3. bis 9. November kamen 126 Synodale in Magdeburg zusammen, um "Überlegungen zu einer einladenden Mission" anzustellen.

Die Antwort ist klar: Die kalte Kirchenbürokratie hindert's. Leute, die immer noch nicht begriffen haben, dass wir im 21. Jahrhundert leben. Theologen, die nur die eigene Religion für wahr halten. Synoden, die nichts ändern wollen. Juristen, die ihre Paragrafen exekutieren.


Wolfgang Wagner ist Pfarrer und Diplom-Psychoanalytiker. Er arbeitet seit 1998 als Studienleiter in Bad Boll. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören ökumenische Fragen sowie der interreligiöse Dialog. Der vorliegende Beitrag erschien auf der Internetseite der "Offenen Kirche", einer kirchenpolitischen Vereinigung innerhalb der Evangelischen Kirche in Württemberg. Dort finden sich auch weitere Informationen zu dem Fall. Die "Offene Kirche" wurde 1972 gegründet und hat rund 1.000 Mitglieder.