Mit depressiven Kindern rechtzeitig zum Arzt
Leistungsdruck, Mobbing, Stress: Schon Kinder erkranken an Depressionen, mitunter an schweren. Suizid ist nach Unfällen die häufigste Todesursache bei Kindern und Jugendlichen. Experten raten: Werden Sie hellhörig, wenn Ihre Kinder sich zurückziehen.
17.11.2011
Von Barbara Driessen

Als sich ihr Sohn Jasper (Name geändert) über längere Zeit hinweg seltsam antriebslos gab, sehr unsicher wirkte, nachts lange grübelnd wach lag und selbst das Interesse an seinen Hobbys verlor, da begann sich seine Mutter Gesine Heinen Sorgen zu machen. Als sie dann auch noch von Jaspers Klassenlehrerin gefragt wurde, was denn mit ihm los sei, er wirke so verändert, da läuteten bei der Kölnerin alle Alarmglocken. "Ich musste mir plötzlich eingestehen, dass er depressiv und niedergeschlagen wirkte - aber das konnte ich mir bei einem zehnjährigen Kind gar nicht vorstellen."

Jedes dritte Kind leidet an depressiven Verstimmungen

Doch Jasper ist alles andere als ein Einzelfall. Eine kürzlich im Auftrag der DAK durchgeführten Studie unter 6.000 Kindern und Jugendlichen in Deutschland ergab, dass fast jeder dritte Schüler unter depressiven Stimmungen leidet. Zwar ist eine depressive Stimmung keineswegs mit einer Depression gleichzusetzen. Doch wer bereits depressive Stimmungen habe, der könne schneller als andere tatsächlich an einer Depression erkranken, sagt Gerd Lehmkuhl, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie am Uniklinikum Köln.

[listbox:title=Mehr im Netz[Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Uniklinik Köln##Deutsches Bündnis gegen Depression##Depressionen bei Jugendlichen]]

Er geht davon aus, dass ein großer Teil der Jugendlichen unter Stimmungsschwankungen leidet, "was zu einem gewissen Grad völlig normal ist". Bei etwa 10 bis 15 Prozent seien jedoch depressive Symptome erkennbar, und etwa drei bis vier Prozent müssten seiner Einschätzung nach dringend behandelt werden.

Besonders die Früherkennung bringe viel, sagt Gerd Lehmkuhl. "Es gibt bereits gute Programme an Schulen, die auf das Problem hinweisen, die aber noch intensiviert werden müssten." Und gerade Eltern seien gefordert, ihre Kinder zu beobachten. "Wenn Jugendlichen sich zurückziehen, haben Eltern das oft nicht im Blick."

Wenn der Alltag nicht mehr gut bewältigt wird

Doch wie erkennt man etwa als Eltern, ob das eigene Kind lediglich eine schlechte Phase durchlebt oder ob es ernsthaft krank ist? Wenn ein junger Mensch auf ein negatives Ereignis in seinem Leben mit Enttäuschung reagiere, sei das völlig angemessen, sagt Lehmkuhl. "Problematisch wird es dann, wenn solch eine Stimmung über einen längeren Zeitraum konstant bleibt und sich in mehreren Bereichen bemerkbar macht", sagt Lehmkuhl, etwa in der Freizeit, beim Sport, in der Schule und im Freundeskreis.

"Ich frage immer, wie gut der Alltag bewältigt wird", meint Judith Sinzig, Leiterin der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der LVR-Klinik in Bonn. "Wenn etwa die Schule geschwänzt wird, die sozialen Kontakte eingeschränkt werden und sich das Kind stattdessen in die virtuelle Welt des Internets zurückzieht, dann sollten Eltern hellhörig werden".

Sie glaubt, dass die Anforderungen an Kinder immer weiter zunehmen: Der steigende Druck in der Schule, die Unterbringung in Ganztagsschulen, schwierige Familienverhältnisse zu Hause, getrennte Eltern oder das Zusammenleben in Patchworkfamilien und auch die zeitraubende Teilnahme an sozialen Netzwerken wie Facebook oder SchülerVZ, all das seien Stressfaktoren. "Viele haben das Gefühl, den gestellten Anforderungen nicht mehr gerecht werden zu können."

Steigende Suizidgefahr bei Jugendlichen

Auch Mobbing macht vielen Kindern zu schaffen. Hinzu kommt bei manchen eine familiäre Komponente: Wenn ein Elternteil bereits an einer Depression erkrankt ist, ist das Risiko auch für die Kinder höher.

Die Zahl der Jugendlichen, die sich das Leben nehmen, steigt. "Wir haben etwa 20 Aufnahmen im Monat wegen Suizidgefahr", sagt Sinzig. Das sei deutlich mehr als noch vor einigen Jahren. Suizid ist bei Jugendlichen nach Verkehrsunfällen die häufigste Todesursache.

Sinzig fordert Eltern dazu auf, bei Problemen lieber einmal zu viel als zu wenig ärztliche Hilfe zu suchen. Eltern und Lehrer sollten auf Frühwarnzeichen achten: "Viele Jugendliche mit Selbstmordgedanken haben die Schule schon längere Zeit nicht mehr besucht. Da hätte man bereits früher eingreifen können."

Verhaltenstherapie bietet Bewältigungsstrategien

Hilfe bei Depressionen bekommen Jugendliche etwa in einer Verhaltenstherapie, die Bewältigungsstrategien bietet und dabei hilft, Dinge anders zu bewerten. Bei ganz massiven Problemen können auch Antidepressiva eingesetzt werden - immer in Verbindung mit einer Psychotherapie.

"Bei leichteren depressiven Episoden kann auch Johanniskraut helfen", sagt Sinzig. Das habe sehr positive Erfolge gezeigt. Auch Jaspers Mutter hat ihrem Sohn Johanniskraut gegeben. "Ob es das war oder ob es von allein besser geworden wäre, weiß ich nicht. Aber nach ein paar Wochen ging es ihm besser."

epd