Bei der geplanten Pflegereform sind nach der Verabschiedung von Eckpunkten durch das Bundeskabinett entscheidende Fragen weiterhin offen. Die Richtung, in die die Reform gehen solle, sei jedoch skizziert, sagte Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) am Mittwoch in Berlin im Anschluss an die Kabinettssitzung. Sozialverbände, Gewerkschaften und die Opposition kritisierten einhellig, dass die Eckpunkte zu vage blieben und die Beitragserhöhung von 0,1 Prozentpunkten nicht ausreiche.
Die Beiträge zur Pflegeversicherung sollen zum Jahr 2013 um 0,1 Prozentpunkte angehoben werden. Damit fließen rund 1,1 Milliarden Euro mehr in die Kassen der Versicherung. Die genaue Verteilung der Mittel ist noch offen. Bahr betonte jedoch, dass vor allem Demenzkranke in sehr niedrigen Pflegestufen zusätzliche Leistungen erhalten sollen. 2012 soll die Reform in Kraft treten, so dass die Verbesserungen für die Versicherten schon vor der Beitragserhöhung spürbar werden.
Pflegebedürftige können Leistungen aussuchen
Gegenwärtig beträgt der Pflegebeitrag 1,95 Prozent des Bruttoeinkommens, Kinderlose zahlen 2,2 Prozent. Darüber hinaus sollen zur Ergänzung der Pflegeversicherung private Zusatzversicherungen nach dem Vorbild der Riester-Rente steuerlich gefördert werden. Er wolle nicht etwas völlig Neues aufbauen, sondern auf bestehende Instrumente setzen, sagte Bahr, ohne Details zu nennen. Ein genaues Konzept muss er noch mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) aushandeln.
Daneben will Bahr die Wahlmöglichkeiten der Pflegebedürftigen erhöhen. So sollen sie künftig aussuchen können, welche Leistungen sie in welchem Zeitkontingent erhalten und worauf sie verzichten wollen. Ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff soll dazu beitragen, die Versorgung der Demenzkranken zu verbessern. Da für die Umsetzung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs noch viel zu klären sei, erhalte der Pflegebeirat einen neuen Auftrag, kündigte der Minister an. Die Arbeiten sollen bis zur Bundestagswahl 2013 abgeschlossen sein.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund bezeichnete die Eckpunkte als Stückwerk. Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisierte, dass mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet würden. Mit den Eckpunkten springe die Regierung zu kurz, sagte Caritas-Präsident Peter Neher.
Kritik an Zeitplan und Finanzierung
Die Experten forderten einhellig, den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff rasch umzusetzen. Dies müsse noch in dieser Legislaturperiode geschehen, sagte Neher. Die Gesundheitsexpertin der SPD-Bundestagsfraktion, Hilde Mattheis, warf der Regierung vor, auf Zeit zu spielen und verwies darauf, dass der Pflege-Beirat bereits 2009 eine Neu-Definition der Pflegebedürftigkeit vorgelegt habe.
Die Grünen sagten, die Koalition sei an der Pflegereform gescheitert. Die zentrale Herausforderung einer soliden Finanzierung gehe Schwarz-Gelb nicht an, kritisierten der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Fritz Kuhn und die pflegepolitische Sprecherin Elisabeth Scharfenberg. Der Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste, Bernd Meurer, sagte, das geplante zusätzliche Finanzvolumen von rund einer Milliarde Euro reiche definitiv nicht aus, um die Betreuung Demenzkranker neu auszurichten. Auch Neher äußerte daran Zweifel. Zudem sei eine private Zusatzversicherung für Menschen mit geringem Einkommen oder Vorerkrankungen kaum zu finanzieren.