Es war schon fast nicht mehr wahr mit der Pflegereform. Schon vor der Wahl 2009 hatten CDU und FDP angekündigt, aktiv werden zu wollen, steigt nicht die Zahl der Wähler 60+ immer weiter an? Im Koalitionsvertrag wurden Pläne fixiert. Etwa der Bürokratieabbau. Denn der Pflege-TÜV, das letzte, schnell durchgeboxte Projekt von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), bürdete dem Pflegepersonal viel zusätzliche Schreibarbeit auf. Oder die bessere Versorgung Demenzkranker und damit die Entlastung ihrer Angehörigen. Es war ein Geburtsfehler der Pflegeversicherung, dass sie die Dementen vernachlässigte und stattdessen vor allem bei körperlichen Gebrechen ansetzte. Dazu musste der "Pflegebedürftigkeitsbegriff" geändert werden, dafür lagen schon detaillierte Kommissionsergebnisse aus den letzten Jahren in der Schublade des Ministeriums.
Dann wurde mit Phillip Rösler ein junger Arzt Gesundheitsminister. Das weckte Erwartungen. Gut, er musste sich einarbeiten. Die Koalition aus seiner FDP und der CDU/CSU musste sich finden – und hatte damit ihre Schwierigkeiten. Als das überwunden war, hätte es losgehen können mit der Arbeit. Aber nein, Rösler startete erst einmal eine Reihe "Pflegedialoge".
Erst runde Tische, dann die lange Bank
Angehörige und Fachleute trafen sich mit der Politik und dem Ministerium quasi am runden Tisch, medienwirksam begleitet. Ein Dialog ist immer gut, möchte man meinen, auch wenn mehr oder weniger laut sich Stimmen erhoben, dass nichts Neues bei den Gesprächen über die bekannten Themen herauskam.
2011 sollte das "Jahr der Pflege" werden, hieß es schließlich. Alles stand in den Startlöchern. Dann brach die EHEC-Epidemie aus, und fast zeitgleich bildete Kanzlerin Merkel ihre Regierung um, als sie den Verteidigungsminister wegen der Plagiatsaffäre verlor. Phillip Rösler wechselte ins Wirtschaftsministerium. Ging er dahin, wo das Geld für die Bewältigung der Pflegereform zu holen war? Schon wieder wurde die Pflegereform auf die lange Bank geschoben.
Klar musste sich der neue Gesundheitsminister Daniel Bahr auch etwas einarbeiten, so viel Zeit musste man ihm gönnen. Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz erläuterte im Mai 2011 schon einmal einige Vorhaben in der Pflege. Zum Beispiel, dass der zweite große Geburtsfehler der Pflegereform gemildert werden sollte, den Pflegedienst nämlich für einzelne Tätigkeitskomplexe zu entgelten wie die "große Morgentoilette", statt für eine bestimmte Zeit beim Patienten, die die Pflegekraft flexibel einsetzen kann. So wie es vor der Pflegeversicherung war.
"Der Sommer dauert bis zum 22. September"
Nun folgte ein nicht eingelöster Termin nach dem anderen: In der ersten Jahreshälfte sollte die Reform beginnen – oder nur bekannt gegeben werden? Nein, im Sommer! "Der Sommer dauert bis zum 22. September", wurde Bahr aus Interviews zitiert. Also Herbst? Während der Termin immer heißer wurde, entwickelten sich die Diskussionen zwischen den Regierungspartnern zu einem echten Streit. Die Pflegeexperten, die jungen CDU-Abgeordneten, die CSU, die FPD und das Ministerium – wie viel die Reform kosten würde und wer die Kosten tragen sollte, das wurde zunehmend öffentlich debattiert.
Heute wurden endlich Eckpunkte bekannt gegeben. Wirklich neu sind sie nicht. Zum 1. April 2012 solle die Reform ausgearbeitet sein, war von Gesundheitsminister Bahr kürzlich zu lesen. Ein "Aprilscherz?", meinte der Deutsche Pflegerat.
Dennoch, dass ausgerechnet am Buß- und Bettag die Reformeckpunkte vorgestellt wurden, hat Sinn. Nicht nur, weil dieser Feiertag zur Einführung der Pflegeversicherung geopfert worden war. Seit 1995 ist er nur noch bei den Sachsen arbeitsfrei – und die zahlen dafür extra in die Pflegeversicherung ein. Das Datum erinnert uns daran, dass Pflege etwas kostet. Und der Buß- und Bettag könnte ein guter Tag zur Besinnung sein. Über notwendige Vorkehrungen für das Alter, über das, was jeder selbst tun kann und wo die Solidarität der großen Gemeinschaft gefragt ist. Wenigstens für eine Pflegereform in den Köpfen, wenn die von der Politik noch weiter auf sich warten lässt.
Katharina Weyandt arbeitet als freie Journalistin für evangelisch.de und betreut den Kreis "Wenn die Eltern älter werden" in unserer Community.