Die kirchliche Bestattung ist ein "Werk der Barmherzigkeit"
Die kirchliche Bestattung ist nach protestantischer Lehre ein Adiaphoron, also ethisch neutral und mithin nicht heilsnotwendig. Was aber ist sie dann? "Sie ist ein Werk der Barmherzigkeit", sagt der Professor für Praktische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Reinhard Schmidt-Rost (62), im Gespräch mit evangelisch.de.
16.11.2011
Von K. Rüdiger Durth

Der Mensch weiß, dass er auch über seinen Tod hinaus von seiner Kirche begleitet wird und dass er in Gott geborgen ist. Zugleich wirkt die kirchliche Trauerfeier in das Leben hinein. Sie gibt den Trauernden Trost und Hoffnung. Voraussetzung ist, dass sich die Kirche mit ihrer Amtshandlung Beerdigung Mühe gibt. Das gilt für die Predigt ebenso wie für die Lieder, die Gebete, die Texte.

Die menschliche Ansprache ist unverzichtbar

Nicht nur im Osten Deutschlands, sondern auch im Westen trifft man oft auf Trauerredner, die kein Pfarrer sind. "Ich nehme sie sehr ernst", versichert Schmidt-Rost. Oft handelt es sich um Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht ins Pfarramt übernommen worden sind und sich auf diese Weise ihren Lebensunterhalt verdienen. Sie halten zum Teil einfühlsame und sehr wohl christliche Ansprachen. Auch humanistische Redner bei der Bestattung von konfessionslosen Verstorbenen würden oft als teilnahmsvolle Begleiter der Hinterbliebenen geschätzt.

Bei nicht-kirchlichen Trauerfeiern hat der Theologe oft die Erfahrung gemacht, dass ein starker ethischer Impuls im Mittelpunkt der Ansprachen steht: "Da sind evangelische Predigten menschlicher, die von Dank und Hoffnung handeln, von der Auferstehung und dem Aufgehobensein des Toten in der Hand Gottes."

Mehr als eine Million Menschen sind in den vergangenen Jahren aus der evangelischen Kirche ausgetreten. Oft bitten die Hinterbliebenen dennoch um eine kirchliche Beerdigung. Soll ein Pfarrer sie zur letzten Ruhe begleiten oder nicht? Für den Professor für Praktische Theologie ist die Antwort letztlich einfach: "Aus seelsorgerlichen Gründen sollte der Pfarrer eine solche Bitte nicht ausschlagen. Vorausgesetzt, der Verstorbene hat einen Pfarrer am Grab nicht abgelehnt und die Angehörigen wünschen eine kirchliche Bestattung."

Was tun bei unkonventionellen Wünschen?

Zunehmend werden Pfarrer bedrängt, eine Beerdigung nach den Vorstellungen der Hinterbliebenen oder nach den ausdrücklichen Wünschen des Verstorbenen zu gestalten. Meist betrifft dies die Musik. Man wünscht sich Schlager oder Rockmusik, weil diese dem Toten besonders viel bedeutet haben. Der Bonner, der selbst viele Jahre Gemeindepfarrer gewesen ist, sagt nicht von vornherein nein bei solchen Wünschen, die auch die Gestaltung der Trauerhalle oder den Wunsch nach mehreren Rednern während der Trauerfeier selbst betreffen. Fingerspitzengefühl sei gefragt, aber auch ein klares Nein, wenn durch solche Wünsche der kirchliche Charakter der Trauerfeier verwischt werde.

Reinhardt Schmidt-Rost macht bei den Gesprächen mit den Hinterbliebenen eine zunehmende Unkenntnis über eine kirchliche Beerdigung aus. Viele Menschen haben kein Wissen mehr über die Kirche, auch kein Gespür mehr für das, was bei einer kirchlichen Beerdigung möglich ist und nicht. Deshalb sei vom Pfarrer nicht nur ein geduldiges und informierendes Gespräch erforderlich, sondern nicht selten auch ein klares Nein, wenn die Wünsche für die Trauerfeier nicht mehr mit der kirchlichen Bestattung vereinbar seien.

Immer weniger kirchliche Beisetzungen

Nach wie vor lassen sich die meisten Kirchenmitglieder – auch die zu Lebzeiten distanzierten – kirchlich beerdigen. Doch ihre Zahl sinkt von Jahr zu Jahr. Die Ursachen sind Schmidt-Rost zufolge sehr unterschiedlich. Immer mehr Menschen sterben in hohem Alter, in dem die verbliebene Familie und der Freundeskreis klein geworden sind. Trauerfeiern werden, so der Bonner Theologe, vor allem dann gewünscht, wenn es auch Trauernde gibt.

Der Trost-Charakter einer solchen kirchlichen Trauerfeier dürfe nicht unterschätzt werden. "Aber auch nicht der missionarische", denn viele Trauergäste aus dem Anlass der christlichen Bestattung nach vielen Jahren oder gar Jahrzehnten der Distanz wieder einen Kontakt mit der Kirche. Gelingt es der Pfarrerin bzw. dem Pfarrer die Trauergäste mit seinen Worten zu erreichen, dann können ganz neue Kontakte zur Kirche entstehen.

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Freilich verzichten viele Menschen auf eine Trauerfeier, um Kosten zu sparen. Dabei wissen selbst viele Kirchenangehörige nicht (mehr), dass die kirchliche Beerdigung nichts kostet. Kosten einer christlichen Trauerfeier entstehen nicht durch die Kirche, sondern durch die Gebührenordnung der Kommunen – etwa für die Überlassung der Trauerhalle.

Billig-Bestattungen greifen immer mehr um sich, bei denen nicht selten auf eine Trauerfeier verzichtet oder diese äußerst schlicht gehalten wird – mit wenig Blumen und Musik vom CD-Player. Da kann der Theologie-Professor, der mit seinen Studenten auch schon mal ein Krematorium besucht, nur mit dem Kopf schütteln: "Eine würdige Trauerfeier wird nicht mehr wertgeschätzt."

Namenlos ist keine Option

Für anonyme Bestattungen freilich hat Schmidt-Rost überhaupt kein Verständnis. Bereits bei der Taufe wird der Säugling mit seinem Namen gerufen. Und darauf hat er ebenso bei seiner Bestattung ein Anrecht. Ganz wichtig ist für die Hinterbliebenen auch, dass sie einen konkreten Ort der Trauer haben. Gegen Friedwälder hat er dann keine Bedenken, wenn die Grabstätten mit Namen versehen werden, wenn sie Platz für christliche Symbole haben und christliche Trauerfeiern ermöglichen. Nichts hat er gegen sogenannte Begräbniskirchen (Kolumbar-Kirchen) einzuwenden: Schon immer sind Menschen in Kirchen zur letzten Ruhe gebettet worden.

Nicht nur in ländlichen Regionen gilt oft eine Urnenbestattung nicht als gleichwertig mit einer Sargbestattung. Dafür gebe es jedoch keinen theologischen Grund: "Die Urne ist dem Sarg völlig gleichwertig." Großen Wert legt Reinhard Schmidt-Rost auf die Erhaltung und Pflege der Friedhöfe. Diese seien ein Ort der Trauer und der Besinnung, dessen gesellschaftlicher Wert nicht unterschätzt werden dürfe. Schmidt-Rost: "Der Friedhof als Park des Friedens und als Schonraum der Gefühle" darf nicht aufgegeben werden: "Er ist auch ein Ausdruck unserer Kultur. Er ist ein Kulturraum für Leben und Tod. Ein Raum zum Anhalten und Aufatmen." Deshalb ist er auch für die Beibehaltung des Beisetzungszwangs auf einem Friedhof.

Der Umgang der Gesellschaft mit ihren Toten sagt viel über ihre Humanität aus. Und die evangelische Volkskirche ist mehr als gut beraten, so Schmidt-Rost, wenn sie an der Trauerfeier als "Werk der Barmherzigkeit" festhält und mehr als bislang dafür tut deutlich zu machen, wie wichtig gerade die christliche Trauerfeier nicht nur für die Hinterbliebenen, sondern für die gesamte Gesellschaft ist. Deshalb verdient sie auch die besondere Mühe durch die Kirche vor Ort.


Reinhard Schmidt-Rost, Jg. 1949, ist Professor für Praktische Theologie und Universitätsprediger an der Universität Bonn, Pfarrer der Württ. Landeskirche und Leiter des Pastoralkollegs der VELKD.

 

K. Rüdiger Durth, Journalist und Theologe, ist ständiger Mitarbeiter von evangelisch.de.