Museum: Wo Zeitung Vergangenheit und Zukunft hat
Das Internationale Zeitungsmuseum (IZM) in Aachen vermittelt alles andere als den Eindruck einer Institution im alten Stil. Die im digitalen Medienumbruch gern kolportierte These vom "Tod" der gedruckten Zeitungen findet hier keinerlei neue Nahrung. Der Besucher erlebt die Präsentation des 400 Jahre alten jungen Printmediums vielmehr mit einer Vitalität, die auch in die Zukunft weist. Mit Erfolg: Rund 100 Tage nach der Wiedereröffnung sei das Museum von der Öffentlichkeit gut angenommen worden, berichtet Museumsdirektor Andreas Düspohl: "Wir haben hier Woche für Woche 300 bis 350 Besucher".
16.11.2011
Von Ralf Siepmann

Mit einem Blitzlichttornado wird der Besucher im Raum "Wahrheit und Lüge" überfallen - so als ob er von Paparazzi-Fotografen gejagt wird. Gesteigert wird das Gefühl noch im übergroßen "Ei". Es fungiert als eine geschlossene Chaos-Kammer, die mediale Reizüberflutung sinnlich erfahrbar macht. Mittels eines interaktiven Monitors lässt sich erkunden, welchen Effekte der Täuschung das Bild im Zeitalter der Digitalisierung unterliegen kann. Dabei stellt sich für den Museumsbesucher sofort die Frage: Was ist dann noch authentisch, im Journalismus noch "Wahrheit"?

Es gibt bekanntes und ungewöhnliches zu entdecken

Eine ebenfalls interaktive Weltkarte erlaubt den Download der Titelseiten von Zeitungen aus aller Herren Länder. Wer sich per Touch Screen auf eine Reise durch die Welt (der Presse) macht, wird mit allerlei Entdeckungen belohnt: Die "New York Times" repräsentiert das Zeitungsland USA. Das ist zwar naheliegend, aber nicht sonderlich originell, da zwischen Atlantik und Pazifik über 1 000 Tageszeitungen erscheinen. Eine Trouvaille (franz.: Glücksfund), weil ohne Zweifel eine Rarität: "No Dong Shin Mun" aus Nordkorea.

Vielleicht enttäuschend für manche das nüchterne Layout der "Yomiuri Shimbun" aus Japan, mit zehn Millionen Exemplaren am Morgen und vier Millionen am Nachmittag die auflagenstärkste Tageszeitung der Welt. Könnte man sie ihrer virtuellen Existenz entreißen, würde man sie begierig aufschlagen, dann allerdings von links nach rechts blättern müssen. Aufschlussreich auch dies: Für Belgien mit seinen drei Sprachengemeinschaften steht "DeMorgen". Das Blatt stand vor zwei Jahrzehnten in Flandern vor dem Aus, wurde aber durch Aufkauf gerettet und entwickelt sich seitdem zu einem Titel mit Qualitätsansprüchen. Eine sehr typische Geschichte aus der Welt der Zeitungen in diesen Jahrzehnten des Umbruchs.

Weder riecht es im "Großen Haus von Aachen", einem Steinbau mit einer fünf Jahrhunderte umspannenden bewegten Geschichte, muffig nach vergilbendem Papier. Noch konfrontiert es Besucher mit der Anmutung eines Wallfahrtortes für einen Zirkel von Spezialisten, die sich flüsternd über uralte Zeitungsdrucke und Folianten beugen. "Die Zeiten, in denen die vielfältige Geschichte des gedruckten Journalismus exemplarisch in verstauben Holzschubladen schlummerte, sind vorbei," beteuert IZM-Direktor Düspohl, von Haus aus Historiker mit einer frühen wissenschaftlichen Affinität zum Thema Zeitung. Im Zuge einer durchgreifenden Neuausrichtung hat sich das zum "Medienmuseum" avancierte IZM als Ort zu etablieren verstanden, der nicht in der Wiederspiegelung des Gestrigen verharrt.

Ein Schwerpunkt: der heutige Alltag

Klassische Pressemuseen wie etwa das Deutsche Zeitungsmuseum in Wadgassen (Saarland) oder das Institut für Zeitungsforschung der Stadt Dortmund fokussieren auf die Pressehistorie. Das IZM in Aachen präsentiert die Zeitung zwar auch mit ihrer Geschichte, rückt sie als Faktor der Lesekultur, als Treiber von Aufklärung, Demokratie und Bildung ins Bewusstsein. Weiterführend ist das Konzept jedoch, das Medium in den Kontext der Massenkommunikation, ihrer Technik und Produktion zu stellen. Wie hat sich die Verbreitung der Nachricht entwickelt, von der Steinzeit bis heute? Wie arbeiten Nachrichtenagenturen? Wie hat sich die Zeitung mit dem Aufkommen der elektronischen Medien Radio und Fernsehen verändert? Wie lauten die ethischen Standards des Deutschen Presserates, und wie wirken sie in der alltäglichen Redaktionspraxis? Auf diese und viele weitere Fragen vermittelt das IZM Antworten, führt es über das traditionelle Verständnis von "museal" hinaus.

Der "Relaunch" der letzten Jahre, der Sprung vom Zeitungs- zum Medienmuseum, bot die Chance auch einer museumspädagogischen "Runderneuerung". "Kernstück des neuen Konzepts ist die Förderung der historischen und kulturellen Bildung sowie der Medienkompetenz", heißt es auf der Homepage des IZM. Interaktivität ist dabei die Zauberformel, mit der man vor allem auf junge Leute zielt. Es sei ja stets die Kompetenz gefragt, selbst zu tun, zu probieren, vorzugehen, unterstreich Düspohl den Ansatz. "Viele unserer Exponate sind eben verborgen, sei es in Schubladen, die man öffnen muss, sei es auf dem Computer, den man bedienen muss."

Ungewiss ist die Zukunft der Zeitungen

In den Schubladen harrt ein ausgewählter Teil der Sammlung von über 200.000 Zeitungen aus aller Welt der Interessenten. Die älteste darunter ist eine Flugschrift von 1590, des Vorläufers der ersten gedruckten Zeitung. Die Sammlung geht auf einen Grundstock zurück, den der Privatgelehrte Oskar von Forckenbeck (1822-1898) zusammengetragen hat. 2006 war die Idee für einen Neuanfang nach einem langen Stillstand des Museums in den 90er Jahren reif. Ausgerufen zum Leitprojekt der Euregionale 2008, standen 3,4 Millionen Euro vom Land NRW und der EU für den Umbau bereit.

Wie für die Gattung des Mediums steht auch für die IZM-Exponate die Digitalisierung auf der Tagesordnung. An die 40.000 Exemplare sind bereits erfasst. Bis der gesamte Fundus digitalisiert sein wird, dürften wohl wesentliche Fragen zur Zukunft der Zeitung beantwortet sein. Profilierte Ansichten dazu gibt es in Aachen übrigens via Videobotschaft heute schon. So von Heribert Prantl ("Süddeutsche Zeitung"), der - keine Überraschung – auf die friedliche Koexistenz von Print und Digital setzt. So vom niederländischen Wissenschaftler Wim Veen (Technische Universität Delft), der – eher eine Überraschung – der Zeitung keine Chance gibt. Diese sei nämlich ein "Medium der Hierarchie", das mit den Erwartungen der mehr Beteiligung und direkte Öffentlichkeit verlangenden Menschen kollidiere und folglich untergehen werde. Mit ein wenig Phantasie lässt sich diese Sicht übrigens auf das IZM in – sagen wir – 50 Jahren schon heute übertragen. Besucher des Hauses in der Pontstraße 13 betreten dann womöglich zunächst den "Raum der Blogger". Oder die Sonderausstellung zum User Generated Content. Vision oder Wirklichkeit? Darüber wäre dann erneut zu berichten.


Ralf Siepmann ist freier Journalist in Bonn.