"Jetzt erst recht!": Wall-Street-Protestler geben nicht auf
Der Zuccotti Park ist gesäubert, die Protestler von "Occupy Wall Street" dürfen ihre Zelte dort aber nicht mehr aufschlagen und wandern durch Manhattan. Aufgebracht, verärgert – aber auch mit frischer Energie. Ihr Motto: "Jetzt erst recht!"
16.11.2011
Von Manuela Imre

Artig wie bei einem Laternenumzug schiebt sich die Kolonne der Protestler über den berühmten Broadway in Mahattan und biegt nach links in die Canal Street ab. In den Händen Plakate, Flaggen und Schriften. Die Menge hält brav an einer roten Ampel, dann geht es auf die große Kreuzung zu. Der Verkehr steht still, als sich die Gruppe über die Straße schiebt. Jubel bricht aus. "We are unstoppable" ("Wir sind nicht zu stoppen") hallt es aus hunderten Mündern, Arme werden gegen den Himmel gestreckt, dann geht es weiter. Die Aktion soll zeigen: "Occupy Wall Street" lebt, auch wenn der bisherige Versammlungsort von der Polizei in einer Nacht-und-Nebel-Aktion geräumt wurde.

Gericht: Demonstrieren erlaubt, Campen nicht

Die letzte Hoffnung der Wall-Street-Demonstranten auf eine zügige Rückkehr ihrer Zeltstadt in den geräumten Zuccotti Park hat sich zerschlagen. Ein New Yorker Richter entschied am Dienstagnachmittag (Ortszeit), dass es den Demonstranten verboten ist, auf der Betonfläche im Finanzbezirk der Millionenmetropole zu kampieren. Nun dürfen sie nicht mehr in den Park - zumindest nicht mit Zelten, Planen und Schlafsäcken.

Nun ist die Frage, wie es mit "Occupy Wall Street" weitergeht. Die Suche nach einem Ausweichquartier verlief zunächst erfolglos. Am Abend durften die Demonstranten zwar in den Zuccotti Park zurückkehren, allerdings wachten Polizisten darüber, dass sie keine Zelte oder Schlafsäcke mitbrachten. "Dies wird die Bewegung nicht stoppen", sagte Anwältin Yetta Kurland, eine Vertreterin von "Occupy Wall Street".

Mit friedlichem Widerstand Schlagzeilen machen

In einem kleinen Park wird beraten, wie man die bisherige Heimat Zuccotti Park "zurückerobern" will. Ruhig will man bei dieser "Eroberung" bleiben. Provozieren bringe nichts, man wolle weiter mit friedlichem Widerstand Schlagzeilen machen. "Kämpfe, Unruhen, davon wollen wir ganz bewusst Abstand nehmen", sagt ein Sprecher. "Wir geben nicht auf, die Welt blickt auf uns. Jetzt noch mehr als vorher", ruft ein Mann. Daneben starrt eine lange Reihe von Polizeibeamten finster ins Nichts. Der Unmut ist ihnen anzusehen. Die Ordnungshüter versuchen mit "Zurück auf den Bordstein"-Rufen, die Menge vom Umherziehen auf der Straße abzuhalten.

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Seit fast zwei Monaten war der Zuccotti Park die Heimat der Protestbewegung. Auf dem gepflasterten Gelände nahe der Wall Street harrten die Menschen in Zelten aus, um gegen die Macht der Banken und soziale Ungerechtigkeiten zu demonstrieren. Dass die Schlafsäcke irgendwo aufgerollt werden, ist aber allen klar. An Aufgeben denkt keiner, ganz im Gegenteil. "Jetzt erst recht" ist die allgemeine Stimmung. Die meisten sehen in der Aufräumaktion und der damit verbundenen Aufruhr in der Nacht die perfekte Chance, Aufwind und einen neuen Schub Aufmerksamkeit zu bekommen.

Chaos, Angst und zahlreiche Verhaftungen

"Die schneiden sich doch ins eigene Fleisch", wettert ein Student, der in der Nacht aus dem Zuccotti Park "entfernt" wurde. Fernsehkameras stürzen sich gierig auf ihn, er war dabei, als andere in Handschellen abgeführt wurden. "Wie ein Verbrecher kam ich mir vor. Dabei haben wir nichts gemacht, wir sind friedlich", sagt er. "Im Gegenteil zu den Polizisten, die warten doch nur darauf, dass sie uns vermöbeln können", kreischt eine aufgebrachte Protestlerin.

Pures Chaos sei es gewesen, erklärt eine dunkelhaarige Endzwanzigerin, die sich in ein knallgelbes "Occupy"-Banner gehüllt hat. "Ich hatte echt Angst", sagt sie mit unruhigen Augen. Und ja, es seien auch Leute geschlagen worden. "Furchtbar war das. Die Polizei kam mit ihren Schildern angerückt", erinnert sie sich. Nachdem sie bereits vor drei Wochen schon einmal verhaftet worden war, sei sie so schnell wie möglich gegangen. "Aber das war nicht so einfach, die Polizei hatte die U-Bahn abgesperrt, nichts ging mehr."

Geschätzt 200 Protestler wurden verhaftet, als die Polizeiaktion gegen 1 Uhr nachts begann. Einige Dutzend harrten weiter aus, ketteten sich teilweise an. Die meisten räumten nach Diskussionen mit den Beamten das Feld und zogen in den zehn Gehminuten entfernten Foley Square Park direkt vor dem Gerichtsgebäude um, legten Schlafsäcke notdürftig aus, zumindest für ein paar Stunden.

"Zur Not marschieren wir eben in den Central Park"

Im Zuccotti Park wurde derweil mit Dampfstrahlern gereinigt. "Ich habe gesehen, wie 17 Sanitärwägen und Müllautos anrückten, als ob wir hier wie Verrückte gewütet hätten", regt sich ein junger Mann mit Irokesenschnitt auf. Dabei sei man seit Wochen darauf bedacht gewesen, die beste Ordnung zu halten, hatte Putzaktionen organisiert und alle dazu angehalten, nichts zu verunstalten. "Aber darum geht es doch auch gar nicht! Die Stadt will uns verdrängen. Viel Spaß!" fügt er hinzu.

"Bloomberg ist ein Lügner" sind noch die netteren Zitate mit denen der Bürgermeister New Yorks versehen wird. Verraten fühle man sich von ihm. "Das wird ihm das Genick brechen", sagt ein Student. "Welcher New Yorker kann einem solchen Politiker denn vertrauen?", fragt eine Aktionisten, die für "Occupy Wall Street" aus Washington angereist kam. "Zur Not marschieren wir eben in den Central Park", sagt sie mit einem Lachen. Wo sie die Nacht verbringen wird, weiß sie zumindest noch nicht.

Der Zuccotti Park gehört einer privaten Immobilienfirma, ist aber für die Öffentlichkeit zugänglich. Die Firma hatte sich bei Bürgermeister Bloomberg darüber beschwert, dass die Protestler das Gelände rund um die Uhr besetzt hielten und das seit Mitte September. Der Zuccotti Park war der Ausgangspunkt für eine weltweite Bewegung. Auch in Frankfurt und Berlin entstanden Zeltstädte.

dpa