Es ist Freitagabend. Antje Zupp kommt aus dem Büro und packt sogleich wieder ihre Tasche. Die Finanzmanagerin der Kölner Museen verreist, um die nächste Woche im Predigerseminar der kurhessischen Kirche in Hofgeismar zu verbringen. Zusammen mit 23 Kommilitonen wird Antje Zupp den Ausführungen zweier Professorinnen der Universität Marburg zum Thema "Ethik" folgen und in Arbeitsgruppen diskutieren. Das Seminar ist Teil des berufsbegleitenden Masterstudienganges in Evangelischer Theologie. Das vor wenigen Jahren gestartete Pionierprojekt ist bisher bundesweit einzigartig. Daher kommen die Teilnehmer vom Hamburg bis Wien und von Köln bis Herrnhut bei Dresden.
"Wer diesen Studiengang berufsbegleitend macht, der will das wirklich", sagt Zupp. Sie benötigt fast ihren ganzen Urlaub für die Seminarwochen und Wochenenden. Ihre Freizeit besteht aus Hausaufgaben und Lernen für die Prüfungen. Dennoch ist Kölnerin spürbar begeistert: "Das ist eben gerade mein großes Hobby." Die motivierten Kommilitonen, die Lernatmosphäre und das Gemeinschaftsgefühl seien wunderbar. "Man studiert eben zusammen."
In Antje Zupps Studiengruppe gibt es einen bunten Mix aus IT-Beratern, Verwaltungsangestellten, Journalisten, Ärzten und auch Juristen, wie Lars Esterhaus, der an der Fachhochschule für Bundesbeamte in Brühl lehrt. "Ich habe großen Spaß an dem Studiengang. Er hilft mir im Berufsalltag der Juristerei über den Tellerrand hinaus zu schauen." Andere Kommilitonen nutzen die gewonnen Fähigkeiten für ehrenamtliche Tätigkeit und einige wollen Pfarrer werden.
Nicht alle Landeskirchen nehmen die neuen "Masters" auf
Alle drei Jahre startet ein Masterkurs. Die ersten Absolventen sind gerade fertig geworden und teilweise nun im Vikariat. Sie unterscheiden sich deutlich von den Volltheologen mit Diplom. Denn der Marburger Studiengang ist ein nichtkonsekutiver Master. Das bedeutet, dass es Zugangsvoraussetzung ist, einen Bachelor oder vergleichbaren Hochschulabschluss in einem fachfremden Bereich absolviert zu haben, also nicht in Theologie. Zudem müssen Interessierte vor Beginn mindestens fünf Jahre andauernde Berufstätigkeit nachweisen. So sind die Marburger Masterstudenten deutlich älter als die Volltheologiestudenten, die frisch von der Uni kommen. "Im Schnitt liegen 15 bis 20 Jahre dazwischen", schätzt Zupp.
Von den 16 Absolventen und Absolventinnen der ersten Studiengruppe sind sechs ins Vikariat der Evangelischen Kirchen von Kurhessen-Waldeck aufgenommen worden. "Dies gilt meines Wissens auch für zwei weitere in einer anderen Landeskirche, die allerdings bisher keine grundlegenden Regularien für die Übernahme, sondern Sonderregelungen geschaffen hat", kann Studiengangkoordinatorin Ruth Poser berichten. "Die Akzeptanz des Studiengangs in den Landeskirchen hängt meines Erachtens sehr deutlich von der Personalsituation der Landeskirchen ab." Einige Kirchen als Arbeitgeber schauten sehr kritisch auf die Absolventen, sagt Esterhaus: "Wir werden in manchen Landeskirchen nach dem Vikariat auch eine Gehaltsstufe niedriger eingestuft als die Volltheologen."
Die Masterstudenten werden insbesondere beäugt, weil sie kein Hebraicum und Graecum ablegen. Lediglich Grundkenntnisse, sogenannte funktionale Sprachkenntnisse, werden erworben, um biblische Texte mit Hilfsmitteln nachvollziehen zu können. "Wenn ich eine Predigt vorbereite, gucke ich mir den Originaltext an und kann damit auch arbeiten", sagt Zupp. Das reiche ihr für die Praxis vollends aus.
Dekan: "Der Studiengang hat sich bewährt"
Ein weiterer Kritikpunkt an dem Studiengang ist die Dauer von nur sechs Semestern. Oberkirchenrat Joachim Ochel, der bei der evangelischen Kirche in Deutschland für Hochschulfragen zuständig, hatte jüngst gegenüber der Wochenzeitung "Die Zeit" geäußert, dass der Pfarrberuf ein mindestens fünfjähriges Studium erfordere. Ochel bezog sich in seinen Aussagen allerdings auf Theologiestudenten auf Bachelorniveau. Für diese könne die Kirche keine adäquaten Anstellungsmöglichkeiten anbieten, so Ochel. "Aber wir haben ja alle schon ein Studium absolviert", gibt Esterhaus zu bedenken.
"Es ist ein zweiter Weg, der Leute mit Beruf und Lebenserfahrung ins Pfarramt führt", sagt der Studiendekan des Marburger Fachbereichs, Karl Pinggéra. "Aus meiner Sicht hat sich bisher der Studiengang bewährt." Er habe selbst Abschlussarbeiten korrigiert. Jedoch betont Pinggéra auch, dass der Master im Vergleich zum Volltheologiestudium nicht als gleichwertig betrachtet werden könne. "An den akademischen Standards für Theologen soll nicht gerüttelt werden."
Studiengangkoordinatorin Poser geht davon aus, dass sich in den nächsten Jahren weitere Landeskirchen für den Masterstudiengang öffnen werden. "Denn qualifizierte Theologen und Theologinnen werden gebraucht." Der Fachbereich Evangelische Theologie an der Universität Marburg war schon immer fortschrittlich. Als erste theologische Fakultät unter evangelischem Vorzeichen wurde sie zusammen mit der Universität im Jahr 1527 durch Landgraf Philipp von Hessen gegründet.
Sarah Salin ist Diplom-Journalistin und wohnt in Berlin.