"Im falschen Leben", 16. November, 20.15 Uhr im Ersten
Manche Geschichten leben vor allem von einer Frage: Wie würde ich entscheiden? Ein Leipziger Elternpaar erfährt aus heiterem Himmel, dass es sich seit zwölf Monaten um ein fremdes Kind gekümmert hat: weil im Krankenhaus zwei Babys unmittelbar nach der Geburt vertauscht worden sind. Die betroffenen Eltern haben nun die Wahl: einfach so weitermachen wie bisher – oder die Kinder tauschen?
Zu Beginn des Jahres hat die ARD diese Geschichte schon mal erzählt. Damals wie heute ist das Missgeschick durch einen Vaterschaftstest herausgekommen. "Das geteilte Glück" hieß der erste Film, und um die Fallhöhe zu erhöhen, war die eine Familie wohlhabend, während die Verhältnisse der anderen eher prekär waren.
Grundverschiedene Lebensweisen stoßen aufeinander
Ganz so drastisch sind die Unterschiede diesmal nicht, aber dennoch stoßen grundverschiedene Lebensweisen aufeinander: Marie (Sonsee Neu) hat eine Auszeit genommen, um sich ganz dem Baby widmen zu können, das Paar hat offenkundig keinerlei materielle Sorgen; Sandra (Anna Maria Mühe) dagegen ist Studentin und alleinerziehend, sie liefert ihre Tochter jeden Morgen in der Unikrippe ab. Natürlich war es ihr Ex-Freund, ohnehin ein Nichtsnutz (Maxim Mehmet), der auf dem DNA-Test bestanden hatte.
Regine Bielefeldt (Buch) und Christiane Balthasar (Regie) erzählen die Geschichte vergleichsweise unaufgeregt und ohne Anleihen beim RTL-2-Format "Frauentausch". Der Film konzentriert sich vor allem auf die nachvollziehbaren Konflikte der Beteiligten, die sich rasch darauf einigen, die Babys auszutauschen. Das Trio findet zwar einen guten Kontakt zueinander, doch das Verhältnis ist naturgemäß dennoch hochsensibel. Prompt reagiert Sandra mit einer Kurzschlusshandlung, als Marie ihr vorschlägt, sich beider Babys anzunehmen (auch das eine Parallele zu "Das geteilte Glück"); und plötzlich steht ausgerechnet das Elternpaar, das sich so vorbildlich um sein Kind gekümmert hat, mit leeren Händen da.
Der Film verzichtet gänzlich auf Spektakel und konzentriert sich auf die emotionale Dimension der Ereignisse. Das funktioniert, weil gerade die drei Hauptdarsteller (Dritter im Bunde ist der Österreicher Andreas Lust als Maries Mann Holger) ihre Charaktere vorzüglich und vor allem glaubwürdig verkörpern. Dass Holger die Entwicklung eher pragmatisch betrachtet und auch dem Babytausch umgehend zustimmt, mag klischeehaft wirken, dürfte jedoch realistisch sein. Aber auch Maries leicht hysterische Reaktion ist nicht überhöht, sondern jederzeit nachvollziehbar; ebenso wie der Streit zwischen dem Paar, das sich gegenseitig die Schuld an der Verwechslung im Krankenhaus gibt. Ein behutsam erzählter, aber dennoch eindringlicher Film, der angenehm unspekulativ mit dem Stoff umgeht.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).