"Der Wolf gehört nach Hamburg, der Biermann nach Berlin"
Wolf Biermann war der bekannteste Liedermacher der DDR. Seine Ausbürgerung 1976 gilt als der Anfang vom langen Ende des SED-Regimes. An diesem Dienstag wird Biermann 75 Jahre alt. Ein Gespräch mit dem Künstler.
11.11.2011
Die Fragen stellte Jürgen Heilig

Wo fühlen Sie sich zuhause? In Hamburg sind Sie geboren und sind dort auch wieder nach der Ausbürgerung aus der DDR hingezogen. Aber auch in Berlin haben Sie lange gelebt. Ihre CD aus dem Jahr 2007 trägt ja auch den Titel "Heimkehr nach Berlin Mitte"?

Biermann: Ich kann es kurz sagen: Der Wolf gehört nach Hamburg, der Biermann nach Berlin. Meine Mutter nannte mich in der Kindheit "Wölflein", aber "der Biermann", der diese Balladen schreibt, der wurde natürlich in Ost-Berlin geboren. Am Ende ist es egal: Meine Heimat bin ich mir selber.

Warum hängt bei Ihnen an der Haustür eine Mesusa, gemeinhin das Kennzeichen eines jüdischen Hauses?

Biermann: Das war meine Frau. Ich hätte das nicht gemacht. Nach jüdischem Gesetz bin ich sowieso kein Jude, weil meine Mutter eine blonde Kommunistin war. Und alle, die aus meiner Familie mich zum Juden hätten machen können, sind ermordet worden. Meine Frau hingegen ist jüdischer als ich, weil sie sich intensiv mit dem Judentum beschäftigt hat, sie hat die jüdische Geschichte studiert. Sie war es, die all meine Kinder immer wieder nach Israel gezottelt hat. Doch den Anfang machte der berühmte israelische Intendant des Khan-Theaters in Jerusalem, Eran Baniel. Er hat mich mit meiner Gitarre nach Israel gelockt, als ich den Golfkrieg gegen Saddam Hussein 1991 öffentlich verteidigt hatte. Das hat mich ungefähr die Hälfte meines Publikums in Deutschland gekostet.

Fühlen Sie sich als Jude?

Biermann: Im religiösen Sinn der Rabbiner gar nicht, aber ansonsten bin ich jüdisch genug. Ich will nicht, dass meine Leute, die die Schoah überlebt haben und jetzt dort auf einem winzigen Stück Land leben, ausgerottet oder ins Meer getrieben werden. Ich finde, es sind genug gestorben worden, allein in meiner Familie 20. Ich bin der einzige, der aus meiner Mischpacha überlebt hat. Insofern bin ich ganz und gar parteiisch. Ich kann kein Pazifist sein, war ich auch nie.

"Ich bin für die Anerkennung eines

Palästinenserstaates. Die allermeisten

Israelis wollen das auch."

 

Wären Sie für die Anerkennung eines Palästinenserstaates?

Biermann: Ohne Zögern: Ja. Die allermeisten Israelis wollen das auch. Aber wie soll ein Volk mit Nachbarstaaten leben, die seit über 60 Jahren in Kriegen kein anderes Ziel aggressiv anstreben, als Israel auszurotten? Die meisten Araber wollen mehr Wohlstand und mehr Freiheiten und endlich Frieden. Aber ihre Stimme wird niedergeschrien. Sie sind Geiseln in der Gewalt von fanatischen Scharfmachern im eigenen Land.

Sie haben nicht nur den Golfkrieg von 1991, sondern auch den Irakkrieg von 2003 verteidigt. Bedauern Sie das heute?

Biermann: Überhaupt nicht. Ich bin immer dafür, wenn ein menschenfeindliches Regime, das seine eigenen Bürger abschlachtet wie jetzt auch wieder in Syrien, mit Waffengewalt niedergekämpft wird. Natürlich habe auch ich gemerkt, dass so tiefe gesellschaftliche Konflikte, wie sie auch in Afghanistan bestehen, nicht allein mit ein paar Flugzeugen gelöst werden können. Aber ohne Gewalt gegen Gewalt geht es schon mal gar nicht. Die Weltgeschichte ist kein evangelisches Stoßgebet. Sonst errichten die Taliban wieder ihren Gottesstaat, in dem die Frauen mit Burkas herumlaufen und Menschen systematisch verstümmelt werden. Dabei ist die humane Substanz im Koran nicht geringer als in der Tora. Wenn man die Bibel liest, stehen einem auch die Haare zu Berge.

Bereuen Sie Ihren versuchten Parteieintritt 1963 in die SED?

Biermann: Das bereue ich überhaupt gar nicht. Ich hatte ja damals die Hoffnung, die DDR revolutionär verbessern zu können. Und so wie ich erzogen wurde, war es logisch, in diesen verfluchten Verein einzutreten. Ich wurde ja in einem roten Nest ausgebrütet. Das ist die kommunistische Kirche, in der ich konfirmiert wurde. Und ich wollte natürlich meinen Vater nicht verraten, der als Kommunist Widerstand gegen die Nazis leistete, anstatt in diesem Nazideutschland seinen Judenhintern zu retten. Aber es war natürlich eine Illusion, dass der kleine Biermann so eine reaktionäre Parteidiktatur verändern könnte. Ich bin daher froh, dass die nicht so dumm waren wie ich schlau sein wollte. Sie rochen den Braten und haben mich nicht reingelassen in ihren Verein.

"Als ich meine Lieder sang, spürte

ich, wie mein Vater hinter mir steht.

Er hat mir die Kraft gegeben."

 

Ihr Vater blieb für Sie zeitlebens eine bestimmende Figur?

Biermann: Ein schöner Zufall: Genau am 13. November, als ich 1976 in Köln meine Lieder sang, spürte ich, wie mein Vater hinter mir steht. Er hat mir die Kraft gegeben, nach zwölf Jahren, in denen ich meine verbotenen Lieder im Zimmer sang, plötzlich vor 8.000 Menschen aufzutreten. Dieses Konzert hat nicht nur mein Leben verändert, sondern auch das anderer Menschen. Was aber geschichtliche Kraft entfaltete, war eigentlich nicht meine Ausbürgerung, sondern die vielen Protestaktionen in der DDR selbst. Damit hatten weder die Herrschenden in der DDR gerechnet, noch ich und meine Freunde Havemann und Jürgen Fuchs. Das hat die DDR-Fürsten kalt erwischt und tief erschüttert. Von der Ausbürgerung habe ich genau drei Tage nach dem Konzert auf dem Weg nach Bochum aus dem Autoradio erfahren. Am Vortag war ich 40 Jahre alt geworden, und zum ersten Mal immerhin schon älter als mein Vater. Das fand ich nett von meinen Todfeinden, dass sie mir diese Freude nicht versaut haben.

Es gibt Behauptungen, Sie seien noch vor Ihrer Abfahrt in den Westen von Margot Honecker höchstpersönlich über Pläne zu Ihrer Ausbürgerung informiert worden?

Biermann: Das ist eine Stasi- und PDS-Lüge. Natürlich kannte ich Margot Honecker. Ich sah sie vielleicht fünfmal in meinem Leben für jedesmal eine Stunde. Zum ersten Mal, als ich sechs Jahre alt war. Sie begleitete damals einen kommunistischen Funktionär, der, kurz nach dem Tod meines Vaters im KZ Auschwitz, meine Tante Lotte und meine Oma Meume aus Halle an der Saale aufsuchte, wo auch Margot Feist herkam. Später, als ich in der DDR lebte, bat meine Mutter das junge Mädchen von damals in einem Brief, sich mal bisschen darum zu kümmern, dass ich als "Junger Lyriker" dem Klassenfeind nicht ins Netz gehe. Margot Feist, die inzwischen als Frau von Erich Honecker Volksbildungsministerin geworden war, lud mich "jungen Lyriker" auch tatsächlich in ihr Büro ein, um mir geduldig die Welt zu erklären. Das geschah zwei oder drei Mal so. Und ich habe ihr brav und ohne Falsch zugehört.

Nur leider war ich zwischenzeitlich etwas älter und klüger geworden, so dass wir uns nicht einigen konnten. Als dann 1965 - ohne mein Zutun - Wolfgang Neuss in Westberlin mein erstes Kapitel von "Deutschland, ein Wintermärchen" veröffentlicht hatte, kam der endgültige Bruch. Damals suchte mich Margot Honecker zum ersten und letzten Mal zuhause in meiner Wohnung auf. Sie redete mir ins Gewissen, weil sie es wusste: Der kleine sympathische Wolf Biermann von 1943 steht nun zehn Zentimeter vor dem Abgrund des Verrats. Das war unser letztes Zusammentreffen.

epd