Afghanistan-Einsatz: Marschbefehl nach Hause
Der Abmarsch kann beginnen: Anfang 2012 wird die Bundeswehrtruppe in Afghanistan erstmals verkleinert, bis 2014 sollen alle Kampftruppen zu Hause sein. Die Folgen sind noch nicht absehbar.
11.11.2011
Von Michael Fischer

Die politische Entscheidung über den Abzug aus Afghanistan ist schon lange gefallen. Für wieviele Soldaten der erste Marschbefehl nach Hause erfolgen würde, war bisher aber noch offen. Mit einem eineinhalb Seiten langen Schreiben schafften Außenminister Guido Westerwelle (FDP) und Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) am Donnerstag erste Klarheit. Bis Anfang 2013 sollen insgesamt fast 1.000 Soldaten aus Afghanistan abgezogen werden, wenn die Lage es zulässt. 

Westerwelle: Truppenreduzierung in Afghanistan verantwortlich

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) hält die geplante Truppenreduzierung der Bundeswehr in Afghanistan um etwa 1.000 Soldaten bis Anfang 2013 für verantwortbar. Dem Bundestag werde in Kürze ein Mandat vorgelegt, das zum ersten Mal eine verantwortliche Reduzierung der Truppenstärke vorsehe, sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Freitag). "Der Scheitelpunkt unseres Engagements wird erreicht." Zehn Jahre nach Beginn des Afghanistan-Einsatzes werde der Strategiewechsel umgesetzt. "Die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an Afghanistan geht voran", unterstrich der Außenminister. Bis Ende 2014 solle der Abzug der Kampftruppen abgeschlossen sein.

Der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Frithjof Schmidt, sprach hingegen von einer "Mogelpackung". So werde zum Beispiel die flexible Reserve gestrichen, die bisher de facto nicht eingesetzt gewesen sei. "Eine verbindliche Abzugsplanung wird damit gerade nicht vorgelegt. Das ist nicht akzeptabel und fällt deutlich hinter die Pläne der internationalen Partner zurück", sagte Schmidt der in Halle erscheinenden "Mitteldeutschen Zeitung" (Freitag).

Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch, lobte in dem Blatt die Reduzierungspläne. "Das ist ein erster Schritt und ein Zeichen an die Afghanen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen." Und: "Das ist keine signifikante Reduzierung. Ich bin aber über jeden Mann und jede Frau froh, die früher zu Hause sind."

Mandatsobergrenze soll stufenweise sinken

Ganz so schnell wie die amerikanischen Verbündeten wird die Bundeswehr damit das Land nicht verlassen. Die USA hatten sich im Juli an die Spitze der Bewegung gesetzt und den Abzug der ersten 10.000 ihrer insgesamt 100.000 Soldaten bis Ende des Jahres angekündigt. Bis September 2012 soll sogar ein Drittel der US-Soldaten zu Hause sein.

Die Bundeswehr macht erst einen vorsichtigen Schritt und dann einen relativ großen. Anfang 2012 sollen noch höchstens 4.900 Soldaten am Hindukusch sein. Theoretisch ist das zwar eine Reduzierung um 450 Soldaten, da die Obergrenze derzeit bei 5.350 liegt. Faktisch reicht aber der Abzug von 100 Soldaten aus, um das angepeilte Ziel zu erreichen. Denn derzeit sind nur 5.000 Soldaten in Kundus, Masar-i-Scharif und den anderen Feldlagern stationiert.

Die Bundesregierung wird damit den Einwänden der Militärs gerecht, die vor einem überstürzten Abzug gewarnt haben, weil sie die Erfolge der letzten Monate in Gefahr sehen. In den Unruheprovinzen Kundus und Baghlan sind die Taliban weitgehend zurückgedrängt worden. Zu längeren Gefechten mit der Bundeswehr sind sie kaum noch im Stande.

Bei der Festlegung der ersten Abzugstranche spielten auch die Vorgaben der Amerikaner eine Rolle, die den Abzug von 900 Soldaten im Norden angekündigt haben. Insgesamt waren in den neun Provinzen, für die die Bundeswehr zuständig ist, bisher rund 13.000 Soldaten der internationalen Schutztruppe Isaf stationiert.

Sicherheitslage nach Abzug umstritten

Ob die Sicherheitslage einen Abzug jetzt schon hergibt, ist allerdings umstritten. Die Isaf verzeichnete zwischen Januar und September zwar acht Prozent weniger "feindliche Angriffe" als im Vorjahreszeitraum und sieht den Trend der Vorjahre damit gebrochen. Zu einem diametral entgegengesetzten Ergebnis kommen aber die Vereinten Nationen (UN), die eine dramatische Verschlechterung der Lage konstatieren. Die Zahl "sicherheitsrelevanter Vorfälle" hat ihrer Statistik nach zwischen Januar und August im Jahresvergleich um 39 Prozent zugenommen.

Auf der anderen Seite schreitet die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanische Armee und Polizei voran. Im Norden ist mit der Provinzhauptstadt Masar-i-Scharif das erste Gebiet bereits übergeben, die nächsten werden in den kommenden Wochen und Monaten folgen. Die afghanische Armee ist mit 12.000 Soldaten im Norden fast schon genauso stark wie die Isaf. 15.000 Soldaten sollen es einmal werden. Das Vertrauen in die Fähigkeiten der einheimischen Sicherheitskräfte, den Taliban Einhalt gebieten zu können, hält sich bei Militärexperten aber in engen Grenzen.

Zugeständnis an Opposition

Der größere Abzugsschritt, der in dem neuen Mandat festgelegt werden soll, ist der zweite bis Anfang 2013. Dann sollen nur 4.400 Bundeswehr-Soldaten am Hindukusch übrig sein. Dass damit erstmals eine Perspektive in einen Mandatstext eingebaut wird, die über ein Jahr hinausgeht, ist auch ein Zugeständnis an die Opposition.

Der SPD macht die schwarz-gelbe Koalition eine Ablehnung damit fast unmöglich. Der sozialdemokratische Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier machte am Donnerstag bereits deutlich, dass er sehr zufrieden ist: "Dies ist der erste wichtige Schritt, damit das Mandat auch weiterhin von einer breiten Mehrheit im Parlament getragen werden kann."

dpa