"Wenn der Dritte Weg funktioniert, ist Streik nicht nötig"
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Nikolaus Schneider, verteidigt den Dritten Weg der Kirche im Arbeitsrecht. Das Modell der Dienstgemeinschaft zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern entspreche den theologischen Grundsätzen der Protestanten. Es sieht den Verzicht auf Arbeitskämpfe vor und schreibt vor, dass über Bezahlung und andere Tariffragen in arbeitsrechtlichen Kommissionen verhandelt wird.
09.11.2011
Die Fragen stellten Karsten Frerichs und Thomas Schiller

Die EKD-Synode behandelt den Dritten Weg im Arbeitsrecht. Warum will die Evangelische Kirche daran festhalten?

Päses Schneider: Wir glauben, dass der Dritte Weg ein guter Weg ist. Er basiert auf der Idee der Parität von Arbeitgebern und Arbeitnehmern und dem Bemühen um Konsens statt Konflikt. Und wir wollen sicherstellen, dass die Prinzipien des kirchlichen Arbeitsrechtes zur Sicherung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch tatsächlich, auch unter veränderten Bedingungen im Sozial- und Gesundheitswesen, angewandt werden. Darum geht es bei dem hier diskutierten Gesetzentwurf.

Was sind die Vorteile für die Kirche?

Schneider: Der Dritte Weg hat für die Menschen Vorteile. Aus dem Gedanken der Dienstgemeinschaft heraus müssen auch die Arbeitgeber die Beschlüsse der Arbeitsrechtlichen Kommission akzeptieren. Wir haben einen engen Verbund gebildet, der Bindungswirkung entfaltet etwa im Rahmen der Diakonie, wo die Unternehmen unter einem enormen Druck sind.

Aber es gibt auch Gegenbeispiele.

Schneider: Es gibt tatsächlich Einrichtungen, die ausbrechen, dazu wird der Rat der EKD eine unabhängige Studie in Auftrag geben. Wir wollen genau hinschauen, wie die Situation ist, wo es Missstände gibt. Aber die Bindung ist viel höher als die Zahl derer, die ausbrechen. Und selbst in denjenigen Unternehmen, die Betriebsteile wie Küchen oder Gärtnereien in Tochterfirmen ausgründen, sind die Mitarbeiter in der Regel immer noch besser gestellt als durch vergleichbare private Tarife, weil sie etwa eine zusätzliche kirchliche Altersversorgung bekommen oder beim Weihnachtsgeld einen Zuschlag erhalten. Der Dritte Weg ist eine Regelung, der unsere Arbeitnehmer bisher gut gestellt hat – bei Schwächen, die ich einräume. An diesen Schwächen arbeiten wir. Man kann nicht sagen, dass durch den Dritten Weg die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Kirche benachteiligt werden, was das soziale Niveau ihres Lebens angeht – ganz im Gegenteil.

"Wenn der Dritte Weg funktioniert,

ist Streik gar nicht nötig"

 

In der Diskussion der EKD-Synode wurde deutlich, dass die Synodalen ein Problem mit der Festschreibung des Streikverbots haben. Hat die Kirche Angst vor Streiks?

Schneider: Die Synodalen sind Kirche und an der Debatte in der Synode sehen sie: Die Kirche hat überhaupt keine Angst vor Streiks. Aber es geht um den Gedanken der Dienstgemeinschaft: Was ist erlaubt und was ist nicht erlaubt? Wenn der Dritte Weg funktioniert, ist Streik gar nicht nötig. Wir leben seit über 30 Jahren ohne Aussperrung und Streik.

Das tun andere Branchen auch, in denen es keinen Dritten Weg gibt.

Schneider: Für andere Branchen kann und will ich nicht sprechen – unsere Aufgabe ist es, die Angelegenheiten der Kirche ordentlich zu regeln. Wir sind kein gesellschaftlicher Akteur wie alle anderen auch. Die Kirche kann sich nicht von staatlichen Arbeitsgerichten vorschreiben lassen, was verkündigungsnah ist und was nicht. Da haben die Richter nicht die entsprechende theologische Kompetenz. Aber einzelne Arbeitsgerichte beginnen nun, über diese für uns entscheidende Frage zu urteilen, was verkündigungsnah ist. Das können wir so nicht akzeptieren.

Reicht der im Arbeitsrecht festgelegte Tendenzschutz nicht aus, nach denen sogenannte Tendenzbetriebe wie Kirchen, Parteien, Gewerkschaften oder auch Verlage weitgehende arbeitsrechtliche Freiheiten zum Schutz ihrer weltanschaulichen Ausrichtung haben?

Schneider: Das ist etwas anderes. Es geht hier nicht um Tendenzschutz, sondern um den grundgesetzlich festgelegten Schutz der Religionsgemeinschaften, ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln.

"Ausgründungen und Leiharbeit

in diakonischen Einrichtungen

entsprechen nicht dem Dritten Weg"

 

Es gibt das Problem von Ausgründungen und von Leiharbeit in diakonischen Einrichtungen. Wird in diesen Fällen nicht durch die kirchlichen Dienstgeber der Dritte Weg ausgehöhlt?

Schneider: Dies ist eines der Probleme.

Wie geht man dagegen vor?

Schneider: Wir gehen dagegen vor, in dem wir das öffentlich benennen und ein solches Verhalten als nicht dem Dritten Weg gemäß bezeichnen. Das tut den Betreffenden bereits sehr weh. Und mit dem Arbeitsrechtsregelungsgrundsätzegesetz wollen wir einen Rahmen abstecken, mit dem wir deutlich machen: Dies sind die Regeln, an die sich alle halten müssen, die von sich sagen wollen, wir sind Diakonie, wir sind Kirche.

Welche Arbeitgeber, die gegen den Dritten Weg verstoßen, sind denn bisher benannt worden? Bisher sind keine Namen von Dienstgebern öffentlich gemacht worden.

Schneider: Ich will keinen Pranger eröffnen.

Aber Sie sagten: öffentlich benennen.

Schneider: Ich will dieses Thema benennen und öffentlich sagen, dass das nicht in Ordnung ist. Dann haben die entsprechenden Mitarbeitenden vor Ort eine Argumentationsgrundlage und können sich auf mich berufen. Und ich gehe davon aus, dass auch die vom Rat der EKD in Auftrag zu gebende Studie die Sensibilität gegenüber diesen Themen erhöhen wird.

Was soll untersucht werden?

Schneider: Wir brauchen einen differenzierten Einblick. Man muss da genau hingucken: Wir haben Bereiche mit Ausgründungen und Zeitarbeit. Zeitarbeit ist in Ordnung, wenn dadurch Spitzen abgefangen werden und die Leute gleich bezahlt werden und Zeitarbeit nicht zum Lohndumping benutzt wird. Bei den Ausgründungen muss es so sein, dass tarifgemäß bezahlt wird. Ausgründungen würde ich wegen des Gedankens der Dienstgemeinschaft am liebsten vermeiden. Es handelt sich nicht nur um ein soziales, sondern auch um ein theologisches Problem.

"Tarifverträge würden die

Bindungswirkung des Dritten Wegs aufheben"

 

Dieser Argumentation will ver.di aber nicht folgen.

Schneider: Die Gewerkschaften tun so, als ob die Folge des Zerschießens des Dritten Weges wäre, dass man automatisch auf Tarifverträge zugeht. Das ist aber ein großer Irrtum. Denn dazu braucht man zwei Seiten. Die großen diakonischen Dienstgeber müssten dann bereit sein, Tarifverträge abzuschließen. Und wenn nicht? Keine Gewerkschaft kann sie dazu zwingen. Die Bindungswirkung des Dritten Weges wäre dann aufgehoben und wir würden eine völlig zersplitterte Landschaft bekommen, die auf eine Absenkung des sozialen Niveaus hinauslaufen würde.

Hätte die Kirche keinen Einfluss auf die großen diakonischen Dienstgeber?

Schneider: Die sind grundsätzlich frei in ihrem Handeln. Sie sind kirchlich angebunden über Persönlichkeiten oder institutionelle kirchliche Verpflichtungen, aber wir haben keinerlei rechtliche Grundlage, sie zu irgendetwas zu zwingen.

Wie wollen Sie diese Einrichtungen dann auf den Dritten Weg verpflichten?

Schneider: Der Dritte Weg gibt die Möglichkeit, den verfassungsgemäß vorgegebenen Rahmen auch als einen Rahmen für die Diakonie zu definieren. Die Diakonie will das so. Dass ist dann eine ganz andere Voraussetzung.

Diejenigen Träger, die aus dem Dritten Weg ausbrechen, argumentieren, dass sie sich in einem Markt bewegen, in dem sie gar keine andere Wahl haben.

Schneider: Das Argument ist insofern richtig, als sie sich auf dem Markt der sozialen Anbieterbehaupten müssen. Und wir wissen, dass die Rahmenbedingungen im Sozial- und Gesundheitswesen schwieriger geworden sind, auch damit wird sich die Synode auseinandersetzen. . Mit dem Dritten Weg definieren wir ein soziales Niveau – wenn wir erkennen, dass das nicht mehr gehalten werden kann, müssen wir ernsthaft überlegen, aus bestimmten Bereichen auszuscheiden.

An welche Bereiche denken Sie?

Schneider: Die gesamte Breite des diakonischen Dienstes ist angesprochen. Ganz problematisch ist etwa der Bereich der Pflege.

"Wenn das Kirchengesetz nicht kommt,

nehmen wir uns die Möglichkeiten differenzierter Sanktionen"

 

Das zur Beratung stehende Kirchengesetz sieht vor, den Dritten Weg zu vereinheitlichen für die 22 Landeskirchen und ihre Diakonischen Werke. Was wäre die Folge, wenn dieses Kirchengesetz nicht kommt?

Schneider: Wir hätten dann keine Möglichkeit, eine Art Leitwährung vorzugeben, damit wir zu größerer Einheitlichkeit kommen. Das würde ich sehr bedauern. Wir würden uns auch Möglichkeiten differenzierter Sanktionen nehmen, die wir mit diesem Gesetz einführen wollen. Die geforderten Verbesserungen würden nicht eintreten. Wenn diejenigen, die Verbesserungen fordern, gleichzeitig verhindern, dass diese Verbesserungen kommen, kann man ja auf den Gedanken kommen, dass sie es gar nicht ernst meinen, sondern dass es um ein Spiel geht, den Dritten Weg zu zerschießen. Ob das wirklich zu verantworten ist gegenüber den Menschen, die in Kirche und Diakonie arbeiten, müsste man dann auch fragen.

Im Plenum der Synode sind als Gegenbeispiele Nordelbien und Berlin-Brandenburg genannt worden. Warum funktioniert dort ein Zweiter Weg?

Schneider: Es handelt sich dort um einen Weg, der dem Dritten Weg absolut vergleichbar ist. In diesen Ländern haben wir kirchengemäße Tarifverträge, in denen der Verzicht auf Streik und Aussperrung ausgehandelt worden ist. Der Kernpunkt, um den es den Gewerkschaften geht, ist dort ausgeschlossen.

Warum kann das kein Modell für die gesamte EKD sein?

Schneider: Die Gewerkschaft ver.di sagt öffentlich, zu solchen Tarifverträgen sei sie nicht mehr bereit. Wenn ver.di bereit wäre, einen solchen Tarifweg mitzugehen, wären Nordelbien und Berlin ein Modell, das ernsthaft zu diskutieren wäre.

epd