20 Jahre Kircheneinheit: Eine Geschichtsstunde in Magdeburg
Zeitzeugen aus Ost und West blicken bei der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) auf die kirchliche Vereinigung vor 20 Jahren zurück - und schauen nach vorn.
07.11.2011
Von Rainer Clos

Der eigentliche 20. Geburtstag für die neue Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) liegt schon ein paar Monate zurück und verstrich ohne Feierstunden. Am 27. Juni 1991 trat die rechtliche Einheit der evangelischen Kirchen in Ost und West wieder in Kraft - und die Zeit der organisatorischen Trennung des deutschen Protestantismus war vorbei. In Coburg fand der Vereinigungsprozess der evangelischen Kirche seinen unspektakulären Abschluss. Am 28. Juni 1991 kam erstmals wieder eine gesamtdeutsche Synode zusammen, der Kirchenvertreter aus allen 24 evangelischen Landeskirchen angehörten.

Bei der EKD-Synode 2011 blicken am Sonntagabend in Magdeburg aus diesem Anlass vier Zeitzeugen, die vor 20 Jahren maßgeblichen Anteil am Zustandekommen der kirchlichen Einheit hatten, auf diesen Vereinigungsprozess zurück. Die Podiumsdiskussion gerät zu einer eindrücklichen Geschichtsstunde, in der die Kirchenleute aus Ost und West der Gefahr der historischen Verklärung nicht erliegen, sondern mutig Farbe und Fehler bekennen.

Nähe zur Basis vermisst

Die meiste Distanz zur vereinten EKD lässt - wie vor zwei Jahrzehnten - Rosemarie Cynkiewicz erkennen, in der Wendezeit Präses der Synode des Kirchenbundes. Sie verhehlt nicht, dass bei manchen ostdeutschen Kirchenleuten über das Ende des Kirchenbundes, das mit der Wiedervereinigung der EKD einherging, auch Gefühle von Trauer aufkamen: "Unsere Art Kirche zu sein war anders." In späteren Synodentagungen der vereinten EKD habe sie den Eindruck gewonnen, dass es dort nicht so existenziell ernst gewesen sei - zumindest nicht überall - wie unter evangelischen Christen in der ehemaligen DDR.

[listbox:title=Mehr im Netz[Die Präsentation von Bischof i.R. Axel Noack auf der Synode]]

In den kirchlichen Leitungsgremien von heute vermisst die Theologin die Nähe zu den kleinen Leuten. In den östlichen Kirchenleitungen habe es selbstverständlich den Ofensetzer oder kleinen Ingenieur gegeben. Die Frage, was sich als Erbe des Kirchenbundes in der EKD wiederfindet, lässt sie unbeantwortet.

Weniger Trauerarbeit ist zu spüren, wenn Axel Noack, ostdeutscher Pfarrer aus der Region Bitterfeld und späterer Bischof in Magdeburg, auf den Vereinigungsprozess zurückblickt. Nachwirkungen der kirchlichen Einheit sieht er durchaus: Für Kirchengemeinden in den östlichen Landeskirchen sei es bis heute selbstverständlich, dass sie den Unterhalt ihrer Gebäude selbst in die Hand nehmen müssten. Auch die Notwendigkeit des Spenden- und Kollektensammelns sei aufgrund der DDR-Erfahrung knapper Finanzen noch immer ausgeprägt.

Was ist mit den "alten Zöpfen"?

Klaus Engelhardt war badischer Bischof und zugleich Ratsvorsitzender der EKD in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung. Im größeren Gewicht der Kirchenkonferenz, das das Vertretungsorgan der Landeskirchen theologisch und thematisch in der EKD gewonnen habe, sieht er eine Folge der kirchlichen Einheit. Heiße Eisen in dem Prozess der Zusammenführung, die zunächst bis Jahresende 1993 angepeilt war, dann aber rascher kam, waren der Religionsunterricht, die Kirchensteuer und die Militärseelsorge, die den östlichen Kirchen als zu staatsnah galt. Vor allem die Neuregelung der Militärseelsorge führte zu heftigen innerkirchlichen Kontroversen, erinnert Engelhardt. Axel Noack ist überzeugt, dass die Soldatenseelsorge durch die Einwände der östlichen Christen kirchlicher geworden sei.

Mit gebremster Emotion blickt Jürgen Schmude auf den Einigungsprozess und seine Nachwirkungen. Bei den Beratungen sei sichtbar geworden, dass während der deutschen Teilung manche schwierige Fragen im Gespräch der Kirchen nicht zur Sprache gekommen seien - vielleicht aus Rücksichtnahme. Diese Klärung musste nun nachgeholt werden. Trotz kleiner Umwege sei der Einigungsprozess insgesamt redlich und ehrlich, vernünftig und rücksichtsvoll vonstatten gegangen, sagt der langjährige Präses der EKD-Synode.

Entschieden widerspricht er Forderungen, sogenannte Privilegien und "alte Zöpfe" der Kirchen abzuschneiden. Die Kirchensteuer garantiere Unabhängigkeit von großen Geldgebern und vom Staat. "Wir können uns öffentlich betätigen, aber nutzen wir auch diese Chancen?" fragt Schmude. Ob Kirche Flagge zeige, "liegt nicht an irgendwem, das liegt an uns", sagt er unter Beifall.

epd