"Es ist nicht vorbei", 9. November, 20.15 Uhr im Ersten
Es klingt nach einem typischen Hitchcock-Stoff, doch der Film erzählt die bittere Wahrheit. Zumindest könnte sie sich jederzeit genau so zutragen: Schockartig erkennt eine Frau in der Stimme eines Mannes jenen Arzt, der vor gut zwanzig Jahren maßgeblich an den "Sonderbehandlungen" beteiligt war, mit denen politische Gefangene im ostdeutschen Zuchthaus Hoheneck gefoltert worden sind. Über 8.000 Frauen waren hier gemeinsam mit Schwerverbrecherinnen eingesperrt; und das oft bloß, weil sie einen Antrag auf Ausreise gestellt hatten. Das Drama "Es ist nicht vorbei" erzählt auf indirekte, aber umso intensivere Weise, was diese Frauen durchgemacht haben; und warum der Titel für sie nach wie vor seine Berechtigung hat.
Psychopharmaka trüben Carolas Erinnerung an das Gefängnis
Das Drehbuch von Kristin Derfler und Clemens Murath bettet die Anklage gegen das DDR-Regime und seine Handlanger in eine leicht nachvollziehbare Geschichte, in der eine Frau schließlich nicht nur um ihren Ruf, sondern auch um ihre Ehe kämpfen muss: Als Klavierlehrerin Carola Weber (Anja Kling) mit ihrem Mann Jochen (Tobias Oertel), Personalreferent an einer Koblenzer Klinik, den neuen Chefneurologen des Krankenhauses besucht, ist sie überzeugt, Professor Limberg (Ulrich Noethen) sei der Arzt, der ihr in Hoheneck regelmäßig Psychopharmaka verabreicht hat. Die permanente Medikation hat zu schwarzen Löchern im Kopf geführt: Carolas Erinnerung an das Gefängnis ist getrübt. Zwei fehlende Finger an ihrer rechten Hand sorgen jedoch dafür, dass sie diese Zeit nie vergessen wird: Der Arbeitsunfall war gleichbedeutend mit dem Ende ihrer hoffnungsvollen Karriere als Pianistin. Ihr musikalisches Gehör hat die Stimme des Arztes jedoch für immer gespeichert. Weil Carola ihre Anschuldigung nicht beweisen kann und Limberg sogar mit einem Gutachten kontert, das ihr paranoide Wahnvorstellungen attestiert, zieht sich Jochen enttäuscht von ihr zurück: Sie hat ihm nie von Hoheneck erzählt.
Der Film konzentriert sich ganz auf die Gegenwart. Trotzdem ist die Vergangenheit ständig präsent, etwa in Form kurzer Erinnerungsschübe, bei denen vor allem die Geräusche dafür sorgen, dass man Carolas Trauma nachvollziehen kann. Die Tonspur lässt den Film ohnehin immer wieder für kurze Momente zum Thriller werden. Viele kleine Szenen sorgen zudem dafür, dass sich Carolas Geschichte als Puzzle zusammensetzt; wie sie ihre Finger verloren hat, wird mit schockierender Beiläufigkeit eingestreut, als sie Gemüse schneidet.
Anja Kling spielt diese Frau, die ihr Unglück so viele Jahre lang verdrängt hat, großartig (Regie: Franziska Meletzky): voller Hingabe, aber stets dosiert. Als Carola bei ihrer Rückkehr nach Hoheneck zusammenbricht, bleibt die Kamera (Eeva Fleig) respektvoll auf Abstand und weidet sich nicht in Nahaufnahme am Leiden. Nicht minder herausragend ist Ulrich Noethen, der den Arzt nie diabolisiert, sondern mit viel Sympathie und Empathie versieht. Limberg reagiert auf die unerhörte Anschuldigung vorbildlich und verständnisvoll; kein Wunder, dass man gemeinsam mit Carolas Mann Zweifel an ihrer geistigen Gesundheit hegt.
Anders als das von Roman Polanski verfilmte und in den Grundzügen ähnliche Theaterstück "Der Tod und das Mädchen" entwickelt sich der Film mehr und mehr zum Krimi, denn um Ehre und Ehe zu retten, muss Carola die Schuld Limbergs um beinahe jeden Preis beweisen; selbst wenn sie dabei ins Lebensgefahr gerät. Im Anschluss (21.45 Uhr) zeigt die ARD eine Dokumentation, in der Kristin Derfler und ihr Mann Dietmar Klein einige Frauen vorstellen, die in Hoheneck inhaftiert waren. Ihr Film beschreibt zudem, wie auch die Kinder der Inhaftierten bis heute von den Folgen der Folter betroffen sind.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).