Gottes Rettungsschirm: Wie man als Christ die Krise besteht
Die globale Finanzkrise und die Euro-Turbulenzen haben das Vertrauen der Menschen in das Funktionieren von Politik und Wirtschaft nachhaltig erschüttert. Der FDP-Haushaltspolitiker und parlamentarische Geschäftsführer seiner Partei im Bundestag, Otto Fricke, setzt sich nicht nur in seiner täglichen Arbeit mit der gegenwärtigen Problematik auseinander, sondern auch als bekennender evangelischer Christ. Sein Fazit: Es gibt einen Rettungsschirm, der in schweren Zeiten wirklich trägt, nämlich Gottes Liebe und die Beziehung zu ihm.
04.11.2011
Von Otto Fricke

Wenn ich morgens in der Woche in Berlin aufwache, denke ich noch immer nicht zuerst an den Euro, die Staatsschulden oder einen Rettungsschirm, sondern an meine Frau und meine Kinder, die dann fern in Krefeld sind. Dieser erste Gedanke beruhigt mich sehr. Die Prioritäten stimmen noch. Mit der Rettungspolitik verbringe ich den ganzen Tag und oft die halbe Nacht. Morgens gehört meiner Familie zumindest der erste Gedanke.

Wenn ich noch andere Gedanken fassen kann als zu dem dauernden Ausnahmezustand, der mich politisch seit Wochen und Monaten – eigentlich seit der Finanzkrise 2008 – bewegt und in Atem hält, dann habe ich die Gewissheit, dass ich auch in den politischen Entscheidungen noch vernünftige Gedanken fassen kann. Die Dimensionen drohen zu verschwimmen, wo es um Hunderte Milliarden oder mehr geht, und die eigenen Fähigkeiten zu klaren Entscheidungen drohen zu versagen, wo man permanent an einem – freilich öffentlich oft überzeichneten – Abgrund zu stehen scheint. Eine der Ressourcen, die mich in diesen Zeiten und unter der Last, die sie bedeutet, bestehen lässt, ist meine Familie. Die andere, davon bin ich überzeugt, ist mein Glaube.

Erst durch Hoffnung wird Verantwortung möglich

Oft wird den Christen vorgeworfen, sie trügen um das Diesseits keine Sorge, weil sie das Licht und die Hoffnung allein im Jenseits wähnten. Spuren dieser Haltung begründen tatsächlich manche Spielart des Protestantismus, die sich außerhalb der Landeskirchen bewegt. Aber damit wird der Gehalt des christlichen Glaubens seines Kerns beraubt. Das Neue Testament bildet vielmehr einen Dualismus aus der schon aus dem Alten Testament bekannten Verantwortung, in die wir in die Welt gesetzt werden, und einer Hoffnung, die über diese Welt hinausgeht und die durch Jesus Christus erst im Neuen Testament Gestalt gewinnt. Diese Hoffnung macht die Verantwortung auf der Welt und für die Welt nicht überflüssig und egal; sie macht sie erst möglich.

Die Verantwortung des Christen liegt auf der Hand. Wir sollen die Schöpfung verwalten und sie gestalten; das ist nicht seine bloße Aufgabe, sondern das Fundament des Menschen. Peter Hahne hat treffend formuliert: "Wem der Himmel gewiss ist, dem darf die Erde nicht gleichgültig sein." Ein Teil dieser Verwaltung der Welt – nicht der unwichtigste – liegt in der Politik. Die Aufgabe des Menschen an den Menschen ist ein Auftrag Gottes an den Menschen. In Jeremia 29,7 heißt es: "Suchet der Stadt Bestes (...); denn wenn's ihr wohl geht, so geht's auch euch wohl."

Otto Fricke. Foto: epd-bild/Rolf Zöllner

Zur Politik aber sind wir auch deshalb berufen, weil wir dem Nächsten Liebe schulden, so wie wir uns selbst Liebe schulden und Gott. Politik ist mit Hannah Arendt "angewandte Nächstenliebe": Liebe zur Welt. Sie ist Nächstenliebe gegenüber einer großen Zahl an Nächsten, solchen, die wir zumeist gar nicht kennen und die uns dennoch Mitmenschen sind – Nächstenliebe auf Distanz. Wo wir zur Nächstenliebe berufen sind, sind wir es auch zur Politik. Die Verantwortung des Politikers ist Schöpfungsverantwortung, und sie ist Nächstenliebeverantwortung.

Aus dieser Verantwortung entlässt uns Gott nie. Dass wir uns auch selbst daraus nicht entlassen können, ist die erste Entlastung, die uns der Glaube bereitstellt. Ich kann mich nicht für oder gegen eine Verantwortung entscheiden, auch wenn sie mir übergroß zu werden droht. Ich habe diese Verantwortung nicht durch Gott, sondern durch die Wahl von Menschen. Aber ich bin von Gott damit gesegnet, diese Verantwortung wahrnehmen zu können, und gesegnet werde ich auch darin, diese Verantwortung wahrzunehmen. Genau an diese Stelle bin ich gesetzt, und genau jene Talente, mit denen ich beschenkt worden bin, habe ich hier zum Einsatz zu bringen. Wenn ich irre, wird mir vergeben. Doch den Mut zur Entscheidung muss ich haben, und ich muss den Irrtum riskieren. Diese Einsicht befreit.

Und jene Entlastung, die uns die Felsbrocken von Verantwortung – als Politiker, als Eltern, als Mitmenschen – erst zu tragen erlaubt, liegt vor allem in der Gnade Gottes und der Hoffnung, die sie birgt. Der Rettungsschirm, der in schweren Zeiten wahrlich trägt, ist Gottes Liebe und die Beziehung zu ihm, die im Glauben wirklich wird. Dieser Schirm ist nicht vorübergehend. Er ist nicht dauerhaft. Er ist ewig. Und kein Rating stuft ihn je herab. Der Weg zum ewigen Leben führt nicht über die Finanzmärkte. Über den Menschen wird nicht in Brüssel gerichtet, nicht in Berlin und nicht in New York. Der Glaube setzt ins Verhältnis, was jedem Verhältnis zu entfliehen droht: Die Rettung der eigenen Seele ist wichtiger als die Rettung einer Währung.

Zwiesprache mit Gott hilft durch die Ungewissheit

Aber dass man sich in diesem Rettungsschirm, der nicht von dieser Welt ist, gesichert weiß, heißt deshalb mitnichten, dass man Anstrengungen unterlassen darf, die irdischen Rettungsschirme zu bauen, derer es bedarf. Fest zu glauben und auf die Zwiesprache mit Gott vertrauen zu dürfen, verleiht jedoch eine Sicherheit, die in der Unsicherheit der Zeit und den Ungewissheiten aller Entscheidung zu bestehen hilft. Noch so hektisch mögen die Tage auch sein: Im Gebet steht die Zeit still. Kostbare Momente sind das. Aus dieser Gelassenheit im Glauben wird in der Krise eine Kraft, die in den Stürmen der Zeit hält und durch sie hindurch trägt.

Wenn ich morgens in Berlin aufwache, sind in letzter Zeit oft meine Augen gerötet und meine Knochen müde, weil zumeist nicht viel Zeit zum Schlafen bleibt. Gegen körperliche Erschöpfung hilft jedoch kein Gebet, sondern zunächst nur Schlaf. Das Mittel ist leicht benannt. Gefährlich wäre allein, wenn zu der körperlichen auch eine seelische Erschöpfung hinzuträte, die zu rasch auch das Innere lähmt und den Verstand. Davon fühle ich mich recht frei, und davor feien mich vielleicht mein Optimismus in der Sache, mein Vertrauen auf Gott und die Verheißung des Gebets. Dies ist mein Weg; gewiss gibt es andere. Aber dafür, auf einen solchen Weg vertrauen zu dürfen, danke ich jeden Tag.


Otto Fricke ist FDP-Bundestagsabgeordneter aus Krefeld. Er war von 2005 bis 2009 Vorsitzender des Haushaltsausschusses des Bundestags, seither ist er Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion und ihr haushaltspolitischer Sprecher. Fricke gehört der Synode des Kirchenkreises Krefeld-Viersen sowie der EKD-Synode an. Den vorliegenden Text schrieb der 45-jährige Vater von drei Kindern für den Gemeindebrief der Evangelischen Kirchengemeinde Krefeld-Süd, in dessen nächster Ausgabe der Beitrag erscheinen wird.