Die dort formulierten Ausnahmen vom Verbot der Präimplantationsdiagnostik (PID) ließen sich auf Dauer nicht eingrenzen, sagte der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Professor Wolfgang Huber, am Mittwochabend bei einer Podiumsdiskussion an der Medizinischen Hochschule Hannover: "Es wird die Forderung geben, dass die PID als Regeldiagnostik eingeführt wird." Medizinprofessoren widersprachen dem Theologen bei dieser Einschätzung.
Bei der PID werden künstlich erzeugte Embryonen im Reagenzglas genetisch untersucht und ausgewählt, bevor wenige gesunde von ihnen in die Gebärmutter eingesetzt werden. Die übrigen werden verworfen. Der Bundestag hatte das Verfahren nur bei schweren Erbkrankheiten zugelassen.
"Embryonen sind mehr als Zellhaufen"
Huber zog eine Parallele zur vorgeburtlichen Untersuchung von Kindern im Mutterleib, die bereits zum Regelfall geworden sei. Die PID werde zu tiefgreifenden Veränderungen beim Embryonenschutz führen, kritisierte er. Embryonen seien mehr als "Zellhaufen", unterstrich der Theologe und Sozialethiker. Die Würde und Unantastbarkeit des Lebens müsse als oberstes Gebot für alle Stufen des menschlichen Lebens gelten und dürfe nicht abgestuft werden.
Die ehemalige Staatssekretärin Ulrike Riedel, wie Huber Mitglied des Ethikrates, sagte in der Debatte, das PID-Gesetz weise zahlreiche Lücken auf. So sei nicht genau geregelt, wie viele Embryonen künstlich erzeugt werden dürften. Offen bleibe auch, ob die überzähligen Embryonen vernichtet oder eingefroren werden sollten. "Die Folge ist Rechtsunsicherheit." Die Juristin und Grünen-Politikerin war Staatssekretärin für Umwelt in Hessen und für Justiz in Sachsen-Anhalt.
Rechtsphilosoph erwartet keinen ethischen "Dammbruch"
Der Lübecker Humangenetiker Eberhard Schwinger dagegen verteidigte die PID. Für einen massenhaften Einsatz sei diese aufwendige Technik nicht geeignet: "Sie ist von vornherein auf ein enges Spektrum von speziellen Fällen begrenzt." Der Gynäkologe Professor Peter Hillemanns von der Medizinischen Hochschule Hannover sagte, es werde pro Jahr in Deutschland nicht mehr als rund 200 Untersuchungen geben. "Es gibt nur ganz wenig schwere Erbkrankheiten, bei denen die PID infrage kommt."
Der Würzburger Rechtsphilosoph Horst Dreier sagte, es werde zu keinem ethischen "Dammbruch" kommen. Das zeigten die Erfahrungen in Ländern, in denen die PID zulässig sei. Zudem sei fraglich, ob ein früher Embryo überhaupt ein Träger von Grundrechten sein könne, weil sich seine Zellen noch teilen und Zwillinge bilden könnten. "Zellen sind kein Individuum", betonte Dreier.
Der evangelische Landesbischof Ralf Meister aus Hannover sagte, die Kirche werde den Fortgang der Debatte aufmerksam verfolgen. In vier Jahren müssten die Erfahrungen mit dem PID-Gesetz überprüft und ausgewertet werden. "Wir werden hier ganz wach sein." Anhand der PID seien die Fragen über den Ursprung und die Behinderungen des Lebens in der Gesellschaft bislang in einer Weite diskutiert worden, "wie wir sie nicht oft haben".