Bremer Staatsanwaltschaft ermittelt nach Säuglingstod
Drei Frühchen sind in einem Bremer Krankenhaus gestorben - offenbar hatten sie sich mit einem gefährlichen Bakterium infiziert. Ein Dutzend weitere Babys hatte den Erreger auch in sich. Die Ursache ist mehrere Monate nach dem ersten Vorfall noch nicht gefunden. Wie sich die Babys anstecken konnten, ist noch unklar. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Nach dem Tod von drei Frühchen in einer Bremer Klinik gehen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft weiter. Die Neugeborenen - ein Mädchen und zwei Jungen - hatten sich im Klinikum Bremen-Mitte mit einem Keim infiziert und waren gestorben. Auch andere Babys hatten sich angesteckt. "Wir prüfen, ob Mitarbeiter die Ursache für die Infektionen sein könnten", sagte Staatsanwalt Uwe Picard.

Was die Infektionswelle ausgelöst hat, ist noch unklar. Experten vom Robert Koch-Institut nehmen die Frühchenstation der Frauenklinik nun genau unter die Lupe. Am Mittwoch gaben die Gesundheitsbehörde und die Klinikleitung die Vorfälle bekannt - fast drei Monate nach dem Tod des ersten Babys. Es starb bereits Anfang August.

Nach Angaben der Klinikleitung wurden daraufhin medizinische Geräte und Räume gründlich gereinigt und desinfiziert. Kurze Zeit schien es, als sei die Infektionswelle eingedämmt. Doch im Oktober starben zwei weitere Frühchen. Bei 15 Säuglingen konnte der Erregertyp nachgewiesen werden, sieben davon erkrankten schwer. Die Station darf nun keine neuen Patienten mehr aufnehmen.

Ursachenforschung "extrem schwierig"

"Wir kennen leider nicht die Quelle der Infektion", sagte der Gesundheitsstaatsrat Joachim Schuster am Mittwoch bei einer kurzfristig angesetzten Pressekonferenz. Er vertrat Gesundheitssenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD), die zeitgleich die Deputation der Bürgerschaft informierte. "Wir stehen an einem Punkt, an dem wir noch nicht endgültig wissen, ob wir das Problem im Griff haben", sagte der Geschäftsführer des Klinikverbunds, Diethelm Hansen. Polizei und Staatsanwaltschaft bestellten am Mittwoch Zeugen ein und begannen Ermittlungen. Nähere Angaben wollten die Fahnder zunächst nicht machen.

Die Frühchen, die alle weniger als 1.000 Gramm wogen, starben am 8. August sowie am 16. und 27. Oktober. "Wir haben natürlich auf der Station Maßnahmen eingeleitet, die eine weitere Verbreitung des Keims verhindern", sagte Hansen. Danach sei die Zahl der Infektionen auch zurückgegangen, bis im Oktober erneut ein Baby daran gestorben sei. Den vier anderen erkrankten Frühchen gehe es inzwischen wieder besser. "Die Ursache ist extrem schwierig zu finden", sagte Schuster. Die Quelle könnten Menschen aber auch Gegenstände sein.

"Medizin an der Grenze des Lebens"

Nach Angaben der ärztlichen Geschäftsführerin der Klinik, Brigitte Kuss, sterben mehr als 50 Prozent der Frühgeborenen mit einem so geringen Gewicht. "Das ist Medizin an der Grenze des Lebens." Ohne intensivmedizinische Betreuung würden alle diese Neugeborenen sofort sterben. Jedes dieser Kinder erleide irgendwann eine Infektion, auf die Ärzte nach vorgegebenen Leitlinien mit Antibiotika reagieren.

[listbox:title=ESBL - wenn Bakterien Antibiotika ausschalten[Keime, die gegen Antibiotika resistent sind, stellen für die Medizin ein zunehmendes Problem dar. Gerade abwehrgeschwächte Menschen in Krankenhäusern und Arztpraxen seien gefährdet, warnen Fachleute. Darmbakterien, die Antibiotika wie Penicillin durch genetische Veränderungen mit Hilfe von Enzymen ausschalten, sind eine ständige Bedrohung. Sie werden auch ESBL-Bildner genannt - die Abkürzung für Extended-Spectrum-Beta-Laktamasen. ESBL bezeichnet also keinen bestimmten Keim, sondern die Eigenschaft unterschiedlicher Keime, Antibiotika zu inaktivieren. Obwohl ESBL nicht so leicht übertragbar ist wie der Krankenhauskeim MRSA, nehmen die Infektionen damit stark zu. Hauptursache für die Entstehung multiresistenter Bakterien sind der unkritische Einsatz von Antibiotika und unzureichende Hygiene, warnen Mediziner. Der Nachweis von ESBL ist aufwendig und dauert mehrere Tage. Die Übertragung erfolgt meist über kontaminierte Hände. Gefahr droht vor allem bei Harnwegs- und Hautinfektionen sowie bei Sepsis - im Volksmund oft "Blutvergiftung" genannt.]]

Diese Keime kämen im Darm vor und würden in einer mutierten Form gefährlich, weil sie beispielsweise Antibiotika außer Kraft setzen. Man spricht dann von Keimen mit der Eigenschaft ESBL.

Pflegedienstchefin Daniela Wendorff versicherte, dass alle Gegenstände, Einrichtungen und Räume, die als Infektionsquelle infrage kommen könnten, gründlich gereinigt und desinfiziert worden seien. "Die Betroffenheit der Mitarbeiter ist sehr groß."

Die Ereignisse im Bremer Klinikum seien besonders gravierend, weil in allen drei Fällen exakt der gleiche Typ des Erregers nachgewiesen wurde. Dass die Klinik die Todesfälle erst jetzt öffentlich machte, erklärten die Geschäftsführer mit der erneuten Zuspitzung der Infektionen und der bisher erfolglosen Suche nach der Quelle.

Grobe Verletzung der Informationspflicht

Sofort wurde der Ruf nach Aufklärung und Konsequenzen in der Politik laut: "Wir erwarten restlose Aufklärung, wie es zu den Todesfällen kommen konnte. Wir wollen insbesondere auch wissen, ob sich tatsächlich schon im August ein Todesfall ereignet hat und wer diese Information zurückgehalten hat. Sollte sich das bewahrheiten, muss das Konsequenzen haben", sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der Bremer Grünen, Kirsten Kappert-Gonther. Die Grünen bilden mit der SPD eine Koalition in Bremen.

Die oppositionelle CDU forderte sofort eine lückenlose Aufklärung der Vorfälle und zeigte sich schockiert. "Es ist das Schlimmste, was Eltern nach der Geburt eines Kindes passieren kann", sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Partei, Rainer Bensch, nach einer Mitteilung. Die CDU sieht möglicherweise eine grobe Verletzung der Informationspflicht durch die Gesundheitssenatorin.

Kein Einzelfall

Immer wieder sorgen Todesfälle von Frühchen in Kliniken bundesweit für Aufsehen. Anfang Oktober hatte sich ein frühgeborener Junge in der Passauer Kinderklinik mit einem multiresistenten Keim angesteckt und war gestorben. Drei andere Säuglinge, die sich ebenfalls infiziert hatten, wurden wieder gesund. Im August 2010 hatte bereits der Tod von drei Babys in der Mainzer Uniklinik für Aufregung gesorgt. Zwei von ihnen kamen wegen einer verseuchten Nährlösung um. Das dritte Kind erlag seinen Vorerkrankungen. Die Klinik traf den Ermittlungen zufolge keine Schuld.

Die Zahl von Frühgeburten hat in Deutschland in den vergangenen Jahren zugenommen. Inzwischen ist fast jedes zehnte neugeborene Kind ein sogenanntes Frühchen. Als Frühgeburt gelten Kinder, die vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche lebend auf die Welt kommen.

dpa