Erdogan kritisiert deutsche Integrationspolitik
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan übt deutliche Kritik an der Integrationspolitik der Bundesregierung. Heute trifft er mit Bundeskanzlerin Merkel zusammen.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan wirft der Bundesregierung Fehler bei der Integrationspolitik vor. "Die deutsche Politik würdigt die Verflechtung der drei Millionen Türken in Deutschland nicht genug", sagte der Regierungschef der "Bild"-Zeitung vom Mittwoch. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wies die Kritik zurück. Derweil beklagten die Grünen eine "unerträgliche Stimmungsmache" Erdogans.

Bundespräsident Christian Wulff (r) empfängt am Dienstag den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan im Schloss Bellevue. Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Erdogan will an diesem Mittwoch an einem Festakt der Bundesregierung zum 50. Jahrestag des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens in Berlin teilnehmen. Bei der Veranstaltung im Auswärtigen Amt wird auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprechen. Bereits am Dienstag wurde Erdogan von Bundespräsident Christian Wulff in Schloss Bellevue zu einem Gespräch empfangen. Über Inhalte der Unterredung wurde nichts bekannt.

Erdogan: Fühlen uns bei EU-Beitritt im Stich gelassen

Erdogan hat die mangelnde Unterstützung der Bundesregierung für einen EU-Beitritt der Türkei beklagt. "Weil wir Türken so viel Positives für Deutschland empfinden, fühlen wir uns gerade hier im Stich gelassen", sagte Erdogan der "Bild"-Zeitung (Mittwoch). "Die deutsche Politik müsste viel mehr für den EU-Beitritt der Türkei tun, weil er die Integration massiv vorantreiben würde." Zudem sprach er sich dafür aus, allen türkischstämmigen Menschen in Deutschland die doppelte Staatsbürgerschaft zu ermöglichen. "Wenn ein EU-Land wie Frankreich das schafft, warum kann es Deutschland nicht?"

Scharf kritisierte Erdogan, dass von Ehefrauen, die aus der Türkei nachkommen, Deutschkenntnisse verlangt werden. "Es kann doch nicht sein, dass die Liebe junger Menschen per Verordnung nur auf Deutsch funktionieren kann", beklagte Erdogan: "Wer Deutschkenntnisse zur wichtigsten Vorrausetzung erklärt, verletzt die Menschenrechte."

Dagegen unterstrich Innenminister Friedrich: "Wer in einem Land erfolgreich sein will", der müsse die Sprache lernen. Das habe Erdogan "noch nicht ganz verinnerlicht", sagte der CSU-Politiker im ZDF-"Morgenmagazin.

Zugleich betonte der Minister, dass die Bundesregierung in den vergangenen sechs Jahren bei der Integration besonders aktiv gewesen sei. "Es gibt kein Land auf der Welt, dass so viel Geld in die Hand genommen hat, um Integration voranzubringen." Seit 2005 seien dafür etwa eine Milliarde Euro ausgegeben worden.

Grüne werfen türkischem Premier "Stimmungsmache" vor

Der Innenexperte der Grünen-Bundestagsfraktion, Memet Kilic, warf Erdogan vor, bewusst Vorurteile gegen Deutschland zu schüren, "um damit bei den Hardlinern im eigenen Land zu punkten". Zuletzt habe der Premier nicht einmal davor zurückgeschreckt, deutsche Stiftungen in der Türkei als Unterstützer der PKK hinzustellen, sagte Kilic der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Mittwochsausgabe).

Kilic forderte eine öffentliche Entschuldigung Erdogans "für seine Ausfälle". Sofern er sich nicht entschuldige, müsse Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihn öffentlich zurechtweisen. Alles andere wäre falsch verstandene Diplomatie, die Erdogan nur zu weiteren Provokationen ermutigen würde. Der türkischstämmige Grünen-Politiker warnte, das Verhalten Erdogans belaste auch die Gespräche über eine EU-Mitgliedschaft der Türkei schwer: "Die fortgesetzte Polemik gegen Deutschland blockiert jede Annäherung in dieser Frage."

epd/dpa