Eigentlich hat Jon Corzine im Berufsleben alles erreicht. Er fing bei der legendären US-Investmentbank Goldman Sachs als Händler an und arbeitete sich bis zum Partner und Co-Chef des Wall-Street-Riesen hoch. Nach seiner Bankerkarriere wechselte er in die Politik, saß für die Demokraten im US-Senat und wurde am Ende sogar Gouverneur des US-Bundesstaats New Jersey. Der heute 64-Jährige hätte sich zur Ruhe setzen können, doch er nahm den Chefposten beim Wertpapierhändler MF Global an - und fuhr die Firma binnen anderthalb Jahren gegen die Wand. Wie konnte es dazu kommen?
MF Global - das "Mini-Lehman"
Corzine war das langweilige Geschäft mit der Abwicklung von Börsengeschäften nicht genug. Zu mickrig waren die Gewinne, zu wenig Flair umgab die nur innerhalb der Finanzgemeinde bekannte MF Global. Die Firma handelte im Kundenauftrag an Börsen und kassierte dafür Gebühren. Corzine wollte aber mehr: Wie in alten Zeiten selbst spekulieren und damit das ganz große Geld machen. Er wollte aus dem Wertpapierhändler eine Investmentbank formen - und damit wieder in die Welt der Hochfinanz aufsteigen.
Aus dem Traum einer "Mini-Goldman" wurde aber der Albtraum einer "Mini-Lehman". Am Montagmorgen meldete MF Global Insolvenz an. Es ist die achtgrößte Pleite eines börsennotierten Unternehmens. Vielen Händlern von MF Global wurde der Zugang zu ihren Arbeitsplätzen in den Handelssälen der Börsen verwehrt, Kunden aus der Finanzindustrie kamen nicht mehr an ihre Konten heran und der Handel mit Rohstoffen - die Spezialität von MF Global - lief an spezialisierten Börsen wie der New Yorker Nymex auf Sparflamme.
Der Schock hielt sich am Ende aber doch in Grenzen. Kein Vergleich zu der Lehman-Katastrophe vor drei Jahren, die das gesamte Finanzsystem ins Wanken brachte. Lehman ging mit 691 Milliarden Dollar an Vermögenswerten in den Büchern unter, bei MF Global waren es "nur" 41 Milliarden Dollar. Zudem war Lehman viel stärker mit anderen Finanzfirmen verwoben und löste mit der Pleite einen Dominoeffekt aus. Bei MF Global, so stellte es der Kommentator des "Wall Street Journal" fest, sei lediglich das eigene Geld futsch.
Euro-Krise treibt MF Global in die Insolvenz
Firmenchef Corzine hatte darauf gewettet, dass Europa seine Schuldenkrise zügig in den Griff bekommen würde und kräftig in europäische Staatsanleihen investiert. Am Ende stapelten sich bei MF Global Schuldpapiere von Spanien bis Italien über 6,3 Milliarden Dollar (4,5 Milliarden Euro). Als Corzine vergangene Woche seine Spekulationen zusammen mit einem Quartalsverlust öffentlich machte, mussten viele Börsianer schlucken. Eine so kleine Firma und ein so großes Risiko? Die Ratingagenturen Fitch und Moody's stuften die Kreditwürdigkeit auf Ramschniveau herunter und gaben damit vielen Geschäftspartnern den letzten Anstoß, sich von MF Global abzuwenden. Das war der Anfang vom Ende.
"Jon Corzine wollte ein größeres Risiko bei MF Global eingehen; er wollte die Firma in die Oberliga der Investmentbanken wie Goldman Sachs führen", sagte Buchautor und Branchenkenner William Cohan im Fernsehsender Bloomberg TV. Dabei habe der erfahrene Banker die Gefahren aus den Augen verloren. "Es ist wirklich schockierend." Ironischerweise kann es aber durchaus sein, dass sich das Geschäft letztlich doch auszahlt, wenn Europa sich wieder fängt - die Anleihen laufen erst Ende 2012 aus. Für Corzine wäre das zwar eine späte Genugtuung, doch für MF Global käme die Rettung zu spät.