Konfirmanden in Frankfurt: "Seeegenswünsche für aaaalle!"
Am Reformationstag gab es bundesweit "Segensflieger-Flashmobs" der Evangelischen Kirche: In Frankfurt am Main ließen drei Konfirmandengruppen Segensworte auf Papierfliegern von der Alten Nikolaikirche herabschweben. Doch nur wenige Passanten hoben einen Flieger auf. Trotzdem war die Aktion ein Erfolg, denn Jugendliche sind öffentlich für ihren Glauben eingetreten - ganz so wie Martin Luther vor knapp 500 Jahren.
01.11.2011
Von Anne Kampf (Text) und Anika Kempf (Fotos)

Noch merkt man nicht, dass Reformationstag ist an diesem Montagnachmittag auf dem Römerberg in Frankfurt am Main. Touristen kommen vorbei, betrachten das historische Rathaus, Büroangestellte mit Brötchen in der Hand und Mütter mit Kinderwagen eilen quer über den Platz Richtung U-Bahn. Noch beachtet niemand die Gruppe von Jugendlichen vor der Alten Nikolaikirche – eine Gruppe, die immer größer wird. Es sind Konfirmanden aus den Stadtteilen Eckenheim, Ginnheim und Eschersheim. Die Mädchen mit bunten Pullis und Schals, die Jungs in Turnschuhen und dunklen Jacken. 

Sie kennen die jeweils anderen erst seit einer Party vor ein paar Tagen. Jetzt freuen sie sich über das Wiedersehen, Aufregung liegt in der Luft. Das mag auch daran liegen, dass dieses Treffen ein Flashmob sein soll, organisiert von ihren Kirchengemeinden - ein Churchmob sozusagen. Zusammen mit ihren Pastorinnen werden die Konfirmanden gleich auf die Galerie der Kirche klettern und zahllose bunte Papierflieger auf die Passanten herabsegeln lassen. Und das hier auf dem zentralsten und bekanntesten Platz der fünftgrößten Stadt in Deutschland. Da darf man schon ein bisschen aufgeregt sein.

Aufregend: Der eigene Taufspruch auf dem Flieger

"Segensflieger" heißt die Aktion zum Reformationstag 2011, zu der die Evangelische Kirche in Deutschland eingeladen hat. Es geht darum, den evangelischen Glauben öffentlich bekannt zu machen. Vor knapp 500 Jahren nagelte Martin Luther der Überlieferung nach seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg. Heute versucht die Kirche, zeitgemäße (und auch spaßige) Formen der Verkündigung zu finden - zum Beispiel Papierflugzeuge. Vikarin Sandra Wald aus Eckenheim meint: "Kirche muss rausgehen und die Leute auf andere Weise ansprechen, sie muss präsent sein, draußen sein, nicht warten bis die Leute reinkommen." Lachend schaut sie zu ihren Konfirmanden herüber, die ihre Segelflugzeuge sortieren. "Ich bin gespannt, wie die Leute das annehmen."

Anne-Sophie Streck-Spahlinger mit ihrem handbeschriebenen Segensflieger.

Auf jedem Flieger steht ein gedrucktes oder handgeschriebenes Segenswort. Manche sind selbst verfasst wie dieses: "Der Herr segne dich, er erfülle dein Herz mit Zärtlichkeit und deine Augen mit Lachen." Andere Verse haben die Pfarrerinnen aus der Bibel oder aus bekannten Liedern ausgewählt, zum Beispiel Dietrich Bonhoeffers "Von guten Mächten wunderbar geborgen…" oder "Nähme ich Flügel der Morgenröte…" aus dem 139. Psalm.

Besonders häufig steht Genesis 12, Vers 2 auf den Fliegern. : "Ich will dich segnen (…), und du sollst ein Segen sein." Zufällig ist das der Taufspruch von Konfirmandin Malin Kallai. Dadurch wird die Segelflieger-Aktion für die junge Frau eine ganz persönliche Sache: "Ich finde es gut, wenn andere Leute das zu hören bekommen und gesegnet werden", sagt Malin. Pfarrerin Christine Streck-Spahlinger hat eine Vermutung, warum der Vers so oft gewählt wurde: Er ist kurz und damit schnell abgeschrieben. Sie kennt ihre Konfirmanden eben.

Italienische Katholikin lässt sich die Reformation erklären

Konfirmand Alexander Scholl aus Eckenheim hält eine durchsichtige Tüte mit den Fliegern seiner Gruppe in der Hand. Sie seien nach einem speziellen Modell gefaltet, erklärt er. Testflüge seien positiv verlaufen: "Sie fliegen." Was werden wohl die Leute sagen, denen so ein Segensflieger vor die Füße fällt? "Die werden überrascht sein", vermutet Alexander. Es gehe darum, den Menschen was Gutes zu wünschen. Warum ausgerechnet am Reformationstag? "Damit die Leute nicht nur an Helloween denken", meint Konfirmandin Anne-Sophie Streck-Spahlinger.

Jubel und Kreischen auf der Alten Nikolaikirche: Die Segensflieger heben ab.

17.15 Uhr. Es geht los. Durch eine Baustelle tappen die Konfirmanden um die Kirche herum, gehen durch eine schmale Tür hinein und eine noch schmalere Wendeltreppe hinauf – bis zur Galerie. Nur ein Teil der Jugendlichen passt hinter die steinerne rote Brüstung hier oben, die anderen stehen unten, feuern an, kichern. Die ersten Passanten bleiben stehen und blicken neugierig nach oben zur Kirche. Einer der Konfirmanden schickt seien Flieger los, das war das Startsignal. Unter lautem Kreischen und Jubeln fliegen immer mehr "Segensflieger" hinunter - die meisten in einer Art Sturzflug mit der Spitze nach unten, so dass sich unten vor der Kirchentür bald eine bunte Papierfliegerflotte ansammelt. Einzelne Männer und Frauen gehen hin, bücken sich, heben einen auf, falten ihn auseinander, lesen – und lächeln.

Jennifer Cucolo ist gerade zusammen mit drei Freunden aus der Kirche getreten und findet sich unversehens in einem Meer von bunten Papierfliegern wieder. Neugierig hebt sie einen auf. Doch die Italienerin kann nichts mit dem Text auf ihrem Flieger anfangen – die Studentin ist erst seit kurzem hier und spricht noch kaum deutsch. Jemand übersetzt ihr den Segensspruch ins Englische, er handelt von Gottes Segen, Licht und Liebe. "Very nice", sagt Jennifer dazu, die Aktion findet sie "originell". Dann lässt sich die Katholikin noch erklären, was der Reformationstag ist - ach ja, von Luther und den 95 Thesen hat sie schon mal gehört. Ihren Segensflieger packt sie in ihre Handtasche "Jetzt wo ich weiß, was das heißt, nehm' ich ihn mit", sagt sie auf englisch.

"Schaut mal, wir evangelische Christen sind hier"

Etliche Flieger liegen noch auf dem Pflaster vor der Alten Nikolaikirche. Ein kleiner Junge rennt hin, sammelt so viele auf, wie er tragen kann, und bringt sie seiner Mutter – die wird ihrem Sohn wohl einiges vorzulesen haben an diesem Abend. Doch noch immer liegen gelbe, grüne und weiße Papierflieger auf dem Boden – die Konfis oben auf der Galerie preisen sie jetzt an wie frisches Gemüse auf dem Markt: "Seeeeegenwünsche für aaalleeeee!" Aber schade – die meisten Passanten gehen vorbei. Kaum jemand bückt sich nach einem Segensflieger. 

Eifrigster Sammler war ein kleiner Junge: Er hob so viele Segensflieger auf, wie er tragen konnte.

Konfirmandin Rosa Raupach aus Ginnheim ist ein bisschen enttäuscht. Sie wollten doch möglichst viele Menschen erreichen und darauf aufmerksam machen, dass heute Reformationstag ist. War die Aktion ein Erfolg? "Nicht so direkt", meint Rosa. Aber Spaß gemacht hat es trotzdem! Das Fazit von Pfarrerin Christine Streck-Spahlinger fällt deutlich positiver aus. "Es war sehr schön, dass alle Konfis zusammen waren", sagt sie und strahlt. Was war der Lernerfolg für die Jugendlichen? "Es ging darum, im öffentlichen Raum zu markieren: Schaut mal, wir evangelische Christen sind hier." Und das, findet sie, ist nicht gerade wenig.

Zum Schluss bilden die Konfirmanden im Altarraum der Alten Nikolaikirche einen Kreis. Jeder legt eine Hand auf die Schulter seines Nachbarn. "Segen geht immer durch Menschen durch", erklärt die Pfarrerin und betet: "Gott, wir empfangen deinen Segen und wir bitten dich, dass wir zum Segen für andere werden." Und dann entlädt sich die ganze Aufregung der Jugendlichen in einem lauten "AMEN".


Anne Kampf ist Redakteurin bei evangelisch.de.