Organspende: Das Ding mit der Angst
Pro Tag sterben drei Menschen, die auf der Warteliste für ein neues Organ stehen, weil eben keine Organe verfügbar sind. Dabei könnten viel mehr Menschen spenden. Warum das nicht geschieht? Es ist auch die Angst, die uns zurückhält. Die Angst vor Schmerzen, die Angst vor dem Unkontrollierbaren. Die Angst vor dem Versagen der Mediziner. Und vor der Urangst des Menschen: dem Tod. Und doch gibt es etwas, was man der Angst entgegenhalten kann.
28.10.2011
Von Maike Freund

In kaum einem andern Land ist wie in Deutschland so genau, so gründlich und unmissverständlich geregelt, wann ein Mensch für hirntot erklärt wird. Durch die Hirntodrichtlinie kann es gar nicht zu Missverständnissen kommen, sagt Professor Günther Kirste von der Deutschen Stiftung Organspende. Beispielsweise gebe es Untersuchungen, die als absolut sicher gelten – wie die EEG (Elektroenzephalografie). Sie stellt nicht nur den Ausfall der Hirnfunktion fest, sondern auch dessen Irreversibilität. Es geht um den eindeutigen Beweis, "dass es keine Möglichkeit gibt, irgendetwas an medizinischen Maßnahmen zu ergreifen, die den Zustand wieder verbessern." Medizinisch sind Fehler also ausgeschlossen. Die Angst ist trotzdem da.  

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Das liegt auch daran, dass die Medizin etwas belegt, was wir nicht mehr wahrnehmen können. "Ängste gibt es viele im Bereich des Lebens", sagt Kirste. Auch die Angst, in einem Flugzeug abzustürzen, sei eine solche. Und trotzdem verlasse man sich dabei auf die Wissenschaft, die belege, dass man mit einer bestimmten Technik fliegen kann. "Das Komische ist, dass dies beim Thema Hirntod nicht ganz so funktioniert." Sicherlich sei die Wissenschaft noch etwas komplexer und schwieriger zu verstehen als die Physik, die hinter dem Aufwind beim Flugzeug steht. "Aber eine wissenschaftliche Begründung für die Angst gibt es nicht", sagt Kirste. 

"Der Tod ist eine Grundangst, mit der jeder umgehen lernen muss", sagt Edwin Jabs von der Familien- und Lebensberatung der Evangelischen Kirche im Rheinland: "Sie darf nicht bagatellisiert werden", meint der Theologe und Psychologe. Die Auseinandersetzung mit dem Tod und auch mit dem Thema Organspende sei alles andere als glatt und einfach. "Dieses Thema verlangt das Letzte von uns", sagt er.

Jesus habe im Garten Gethsemane mit der Todesangst gerungen. Warum sollte es uns im Angesicht des Todes oder des Todes eines geliebten Menschen anders ergehen? Zum Beispiel dann, wenn es um den Tod des eigenen Kindes geht? Jabs weiß, dass – auch wenn man sich prinzipiell für eine Organspende entschieden hat – die Entscheidung im Ernstfall auch wieder anders aussehen kann. "Da ist es nicht angebracht, das Thema zu moralisieren."

Organspende als Akt der Nächstenliebe

Denn es geht um noch mehr als um die reine Angst vor dem Tod. Es ist die Sorge, dass Angehörige "ausgeschlachtet werden könnten", weil Mediziner bei einer Organspende eben doch interessengeleitet sein könnten. Und dann ist da die generelle Befürchtung: Wird mit meinem Angehörigen auch im Tode würdig umgegangen? Dieser Sorge könne nur entgegengewirkt werden, wenn Betroffene einfühlsam begleitet würden. Nur wenn das Grundgefühl der Unversehrtheit des Toten vorhanden sei, könne die Furcht überwunden und die Organspende als Akt der Nächstenliebe angenommen werden. 

Und dann gibt es da noch die psychologische Hemmschwelle. Ein Mensch, der für hirntot erklärt wird, aber als möglicher Spender in Frage kommt, wird künstlich beatmet. Das heißt, sein Körper ist warm, möglicherweise zeigt er auch noch unwillkürliche Reaktionen auf die Beatmung. Das alles wirke sehr lebendig und mache das Abschiednehmen viel schwerer, sagt Jabs: "Der Mensch ist zwar hirntot, aber er fühlt sich nicht tot an." 

Wie würde ich entscheiden, wenn ich selber ein Organ bräuchte?

Und nun? Was hilft gegen diese Angst, die Beklemmung, das Wegschieben wollen? Aufklärungskampagnen? "Ich glaube nicht, dass man den Ängsten in den Köpfen von 86 Millionen Menschen mit Aufklärung entgegenwirken kann", sagt Kirste von der Deutschen Stiftung Organspende. Aber man müsse es natürlich versuchen. "Im Psalm 90 heißt es: Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden", sagt der Theologe Edwin Jabs. Für ihn heißt das: Das Thema Tod war zu allen Zeiten kein Alltagsthema. Und deshalb sei es auch so schwierig, einen Ansatzpunkt zu finden.

Da helfe nur persönliche Nähe zum Thema, sagt Jabs. Und der Umkehrgedanke: Wie würde ich entscheiden, wenn ich selber ein Organ bräuchte? Der Mediziner Kirste glaubt, "dass man solchen rein emotionalen Ängsten auch emotionale Erwägungen entgegenstellen kann." Und das seien die unglaublichen Erfolgsgeschichten, die hinter Transplantationen heute stehen: "In Deutschland leben mehr als 50.000 Menschen mit einem transplantierten Organ, die nur deshalb leben, weil sie ein transplantiertes Organ haben."


Maike Freund ist Redakteurin bei evangelisch.de