Vom Hirntod zur Transplantation: Der Weg der Organe
Klar, jeder weiß, wie eine Organspende abläuft – wenigstens so ungefähr. Wer aber darf in Deutschland den Hirntod feststellen und in welchem Zeitrahmen? Wer ist befugt, Organe zu entnehmen? Was kostet eine Transplantation und gibt es Risikogruppen, die nicht spenden dürfen? Die Antworten hat Professor Günther Kirste von der Deutschen Stiftung Organspende (DOS).
28.10.2011
Die Fragen stellte Maike Freund

Wenn wir uns den Ablauf einer Organspende ansehen, dann steht an erster Stelle die Feststellung des Hirntods…

Günther Kirste: Die Richtlinien zur Festestellung des Hirntods, die von der Bundesärztekammer verabschiedet worden sind, sind so eindeutig und so gut, dass da überhaupt kein Zweifel bleiben kann. Es gibt Länder, bei denen das bei weitem nicht in der Eindeutigkeit geregelt ist wie in Deutschland.

[listbox:title= Infos rund um die Organspende[Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufkärung über interreligiöse Erfahrungen##Ruhr-Universität Bochum: Forschungsverbund Kulturübergreifende Bioethik##Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zur Organspende ## Deutsche Stiftung Organspende ## Informationen von und über Eurotransplant ## Der Organspendeausweis zum Download ## Informationen gibt es auch per Telefon Montag bis Freitag von 9 bis 18 unter 0800/90 40 400]]

Was ist es denn bei uns besser geregelt?

Kirste: In Deutschland ist festgelegt, dass die Hirnfunktion von erwachsenen Patienten zwei Mal im Abstand von zwölf Stunden untersucht werden muss. Die Engländer sagen, wir machen zwischen den beiden Untersuchungen eine gute Zigarettenlänge Pause. Und in vielen Ländern gibt es gar keine Festlegung. Das ist in Deutschland ganz anders. Es gibt festgelegte technische Untersuchungen wie das EEG, die als absolut sicher gelten. Die Hirntodrichtlinie sagt auch, dass es nicht nur auf die Feststellung des Ausfalls der Hirnfunktion ankommt, sondern – und das ist ein ganz wichtiger Punkt – auf die Irreversibilität, also dass man eindeutig beweisen kann, dass es keine Möglichkeit gibt, irgendetwas an medizinischen Maßnahmen zu ergreifen, die den Zustand wieder verbessern. Das alles ist in Deutschland ganz klar geregelt.

Darf denn jeder Arzt in einem Krankenhaus den Hirntod feststellen?

Kirste: Nein. Auch das ist in Deutschland ganz genau geregelt. Das müssen Ärzte sein, die in dieser Durchführung Erfahrung haben. Das kann nicht jeder Arzt.

"Wir schicken also das Taxi,
damit der Arzt zum entsprechenden
Krankenhaus fahren kann" 
 

Aber es wird nicht extern jemand gerufen?

Kirste: Doch, gelegentlich schon. Wenn am Wochenende in einem Krankenhaus nur ein Arzt da ist, der die erforderliche Qualifikation hat, werden wir gebeten, einen weiteren Arzt hinzuholen. Wir sind aber nur in die Organisation eingebunden, nicht in die Tätigkeit. Wir schicken also das Taxi, damit der Arzt zum entsprechenden Krankenhaus fahren kann.

Wurde der Hirntod festgestellt, werden Gespräche mit Angehörigen geführt. Wie viel Zeit steht dafür zur Verfügung?

Kirste: Das Gespräch nimmt ein bis zwei Stunden in Anspruch. Eine so schwierige Entscheidung darf auch nicht unter Druck gefällt werden. Idealerweise sollte es in einer entsprechenden Gesprächsatmosphäre stattfinden und frühzeitige Begleitung schon während der Intensivphase durch einen Koordinator der DSO eingeleitet werden. Auf dieser Grundlage der Betreuung kann man ein solches Gespräch sehr gut einleiten.

Wie lange haben die Angehörigen dann Zeit, sich zu entscheiden?

Kirste: Das hängt natürlich vom Einzelfall ab. Es gibt Fälle, die kreislaufinstabil sind, weil schwerere zusätzliche Verletzungen vorliegen, dann ist die Zeit knapper. Aber auf jeden Fall bleibt Zeit, um den Angehörigen genügend Bedenkzeit einzuräumen.

"Es gibt eine permanente Diskussion,
ob nun der Faktor Erfolgsaussicht stärker zu bewerten
ist oder die Dringlichkeit" 
 

Wie geht es weiter?

Kirste: Wenn die Angehörigen zugestimmt haben, klärt unser Koordinator, welche Organe überhaupt in Frage kommen. Hatte ein Spender beispielsweise vor einem halben Jahr einen Herzinfarkt, kommt eine Herzspende nicht in Frage. Der Koordinator klärt also die Qualität der einzelnen Organe. Dazu werden noch einmal medizinische Untersuchungen notwendig, zum Beispiel Ultraschall, Laboruntersuchung bis hin zu einer eventuellen Herz-Kranz-Untersuchung, je nachdem, was notwendig ist. Dann werden diese Organe an die Vermittlungsstelle Eurotransplant in Leiden gemeldet. Es kann sein, dass das Herz nach Berlin geht und die Nieren nach Rotterdam und Hamburg. Unserer Aufgabe ist es, ein Team von Entnahmechirurgen zu organisieren, das die Operationen bei den Spendern durchführt.

Wer darf die Organe entnehmen?

Kirste: Nur Chirurgen, die einen entsprechenden Qualifikationsnachweis haben auch das ist in Deutschland durch eine Richtlinie der Bundesärztekammer genau geregelt. Wir haben insgesamt knapp 800 Chirurgen unter Vertrag, in jeder Region mindestens zwei Teams unter Rufbereitschaft. Die rufen wir an und sorgen zur Not auch für ein Taxi oder Flugzeug, um sie vor Ort zu bringen.

Wer ein Organ bekommt, entscheidet Eurotransplant. Wie wird konkret entschieden, wer ein Organ bekommt? Im Gesetz steht nach Notwendigkeit und Erfolgsaussichten.

Kirste: Das ist sehr schwierig. Denn Erfolgsaussichten und Dringlichkeiten widersprechen sich durchaus. Also gibt es eine permanente Diskussion, ob nun der Faktor Erfolgsaussicht stärker zu bewerten ist oder die Dringlichkeit. Es gib so kranke Menschen, die so dringlich ein Organ brauchen, dass ihre Erfolgsaussicht miserabel ist. Also muss eine Balance zwischen beiden Anforderungen gefunden werden.­­­­­

"Man hat aber festgelegt, dass jemand
erst dann auf die Warteliste zur Lebertransplantation darf,
wenn er nachweislich ein halbes Jahr abstinent ist" 
 

Gibt es Kriterien, die mich auf der Liste zurückwerfen?

Kirste: Ja. Angenommen sie sind für eine Lebertransplantation angemeldet und es geht Ihnen gerade hundsmiserabel. Auf einmal aber greift aus irgendwelchen Gründen eine Therapie, ihre Leberfunktion verbessert sich wieder, dann rutschen Sie sozusagen in der Reihenfolge nach unten.

Angenommen ich brauche eine neue Leber, weil ich als Alkoholiker bin. Ist dies ein Faktor, der mich auf der Warteliste nach unten rutschen lässt?

Kirste: Alkoholismus ist eine Erkrankung und wird als solche berücksichtigt. Man hat aber festgelegt, dass jemand erst dann auf die Warteliste zur Lebertransplantation darf, wenn er nachweislich ein halbes Jahr abstinent ist. Das wird vorausgesetzt. Bei Rauchern verfährt man genauso.

Dann müssen die Organe transportiert werden? Wie geschieht das?

Kirste: Per Flugzeug oder Hubschrauber, aber es gibt auch die Transporte per Auto oder ICE-Kurierdienst. Gerade bei Nieren verwenden wir häufig Landtransporte. Bei Leber und Herzen nicht, dafür braucht man ein schnelles Transportmittel.

In welchem zeitlichen Rahmen läuft das Ganze ab?

Kirste: In 80 Prozent der Fälle dauert der Vorgang der Organspende weniger als achtzehn Stunden. Wurden die Angehörigengespräche geführt, versuchen wir, alles schnellstmöglich zu organisieren. Für Herzen gilt, dass sie spätestens nach sechs Stunden im Körper des Empfängers angeschlossen sein müssen, Lebern nach ungefähr zwölf Stunden. Für Nieren hat man bis zu 24 Stunden Zeit, sie zu transplantieren, aber man weiß: Je kürzer desto besser.

"Von der Feststellung des Hirntodes bis das Organ
vor die Op-Tür des Transplantationszentrums gestellt ist,
gibt es ungefähr 7.300 Euro" 
 

Wer bezahlt den Vorgang der Organspende?

Kirste: Ab Todesfeststellung übernehmen wir das. Das heiß, die Krankenkassen, denn die DSO wird ja von den Krankenkassen finanziert. Die Leistungen des Krankenhauses enden mit der Feststellung des Todes.

Was kostet die Krankenkasse eine Organspende?

Kirste: Die Kosten, die einem Spendekrankenhaus von uns für einen Organspender, bei dem mehrere Organe entnommen werden, erstattet werden, liegen bei rund 3.500 Euro. Dieses Geld wird für die erforderlichen Maßnahmen wie Operationen, Zeit und so weiter überwiesen. Von der Feststellung des Hirntodes bis das Organ vor die Op-Tür des Transplantationszentrums gestellt ist, gibt es ungefähr 7.300 Euro. Von dem Geld werden unter anderem der Transport organisiert, die Sicherheits- und Laboruntersuchungen bezahlt und die Entnahmechirurgen und die Dokumentation finanziert. Die Transplantation fällt unter den Bereich Behandlung und somit nicht mehr in den Finanzierungstopf der DSO.

Bei Blutspende gibt es Risikogruppen, die kein Blut spenden können. Darf jeder Organe spenden?

Kirste: Prinzipiell ja. Aber es gibt Faktoren, die als absolute Kontraindikation ansehen werden. Das maligne Melanom – Hautkrebs – ist zum Beispiel ein ganz bösartiger Tumor. Findet man so etwas an einem Spender, kommt er als Spender nicht in Frage. Dann gibt es gesunde Menschen, bei denen man gar nichts findet und das ist der überwiegende Teil. Und es gibt Ermessensfälle. Beispielsweise hatte ein potentieller Spender vor sieben Jahren einen Tumor, in der Zeit danach gab es keine Metastasen. Dann kann man darüber nachdenken, ein Organ zu entnehmen. Ein Bauchspeicheldrüsentumor wird kaum je in die Nieren streuen. Das gibt es eigentlich nicht. Aber wie immer gilt in der Medizin: Es gibt keine Absolutheit. Dann müssen die Risiken abgewogen werden. Das Risiko, auf der Warteliste zu sterben ohne ein Transplantat zu bekommen, ist aber bei weitem höher als das Risiko, eine Krankheit übertragen zu bekommen.


Günther Kirste, geboren 1948 in Celle, studierte Medizin in Berlin und Freiburg. 1995 wurde er Professor für Chirurgie in Freiburg. Kriste ist unter anderem der medizinische Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation und Mitglied der Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer. Foto: Michael Kretzer/DSO

Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) koordiniert bundesweit alle Organspenden. Zu ihren Aufgaben gehört auch die Förderung der Organspenden.