"Erklärungs-Lösungen spielen nicht die Hauptrolle"
Deutschlands Politiker debattieren über die Novellierung des Transplantationsgesetzes. Der Grund: zu wenig Organspender. Statt der erweiterten Zustimmungslösung wollen Koalition und Opposition nun die Entscheidungslösung im Gesetz verankern. Wenigstens einmal im Leben sollen alle Bürger mit der Frage der Organspende konfrontiert werden. So, glaubt die Politik, können mehr Menschen dazu gebracht werden, im Ernstfall Organe zu spenden. Günter Kirste, Vorstand der der Deutschen Stiftung Organspende (DSO) sieht das ganz anders: "Die Frage, ob es sich um eine Widerspruchslösung handelt oder um welche Erklärung auch immer, ist nicht entscheidend."
28.10.2011
Die Fragen stellte Maike Freund

15,9 Organspender kamen 2010. auf  eine Millionen Einwohner. Damit liegt Deutschland im unteren Drittel. Zum Vergleich: In Spanien kommen 34,4 Organspender auf eine Million Einwohner. Warum gibt es in Deutschland so wenig Spender?

Günther Kirste: Das liegt daran, dass es in Deutschland keine eindeutige und klare Verantwortlichkeit im gesamten Prozess der Organspende gibt. Das 1997 in Kraft getretene Transplantationsgesetz definiert Organspende als Gemeinschaftsaufgabe. Und das ist genau das Problem. Denn leider wird die häufig so verstanden, dass jeder denkt: Der andere wird's schon machen.

Wird der Hirntod eines möglichen Spenders festgestellt, muss jedes Krankenhaus die DSO informieren.

Kirste: Richtig. Das Gesetz sagt in Paragraf 11, dass die Krankenhäuser verpflichtet sind, einen möglichen Organspender bei medizinischer Eignung und bei Feststellung des Hirntodes zu melden. Da liegt genau das Problem.

[listbox:title= Infos rund um die Organspende[Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufkärung über interreligiöse Erfahrungen##Ruhr-Universität Bochum: Forschungsverbund Kulturübergreifende Bioethik##Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zur Organspende ## Deutsche Stiftung Organspende ## Informationen von und über Eurotransplant ## Der Organspendeausweis zum Download ## Informationen gibt es auch per Telefon Montag bis Freitag von 9 bis 18 unter 0800/90 40 400]]

Warum?

Kirste: Es hat sich international bewährt, eine Organspendeorganisation nicht erst dann hinzuzuziehen, wenn der Hirntod bereits eingetreten ist. Die Organisation sollte im Vorfeld informiert werden. Spanien, Frankreich, die USA und Italien haben genau eine solche Regelung. Bei bestimmten Indikatoren der Hirnfunktion werden die Organisationen hinzugerufen. Deutschland hat diese Regelung nicht. 

Wie oft passiert es denn, dass ein Koordinator zu den Angehörigengesprächen hinzugezogen wird?

Kirste: Viel, viel zu selten. Zu diesen Angehörigengesprächen werden nur in 20 Prozent der Fälle Koordinatoren hinzugezogen. Das heißt: 80 Prozent der Gespräche führen die Ärzte in den Krankenhäusern allein. Mit dem Erfolg, dass deren Zustimmungsrate unter 50 Prozent liegt. Bei den Koordinatoren liegt die Zustimmungsrate bei mehr als 75 Prozent.

Weil den Ärzten die Erfahrung fehlt?

Kirste: Die Erfahrung fehlt, die Zeit fehlt und das Know-how fehlt. Diese Gespräche brauchen ein bis zwei Stunden und sie erfordern vor allen Dingen, dass man eine gewisse Erfahrung und Ausbildung darin hat, um - wie der Amerikaner sagt: bringing bad news – um schlechte Nachrichten mitzuteilen. In Deutschland darf jeder Arzt mit den Angehörigen über solch schwierigen Fragen wie Organspende reden. In anderen Ländern der Welt ist das nur erlaubt, wenn man dazu eine Ausbildung hat. Daran hapert das deutsche System.

Aber es soll doch eine Reform des Transplantationsgesetzes geben. Die Erklärungslösung scheint von allen Parteien für gut befunden...

Kirste: Das ist ja das Komische: Politiker und Medien werfen mit Erklärungs- und Sonstwas-Lösungen um sich, aber: Das spielt nicht die Hauptrolle. Der Schlüssel zu mehr Organspenden liegt in den Paragrafen acht bis zwölf des Transplantationsgesetzes, wo es darum geht, eine klare, eindeutige Organisationsstruktur zu schaffen.

 "Die Frage, ob es sich um eine Widerspruchslösung
handelt oder um welche Erklärung auch immer,
ist nicht entscheidend"
 

Aber wenn jeder Mensch einmal in Leben sich damit beschäftigt, ob sie vielleicht im Ernstfall spenden wollen, ist das doch gut?

Kirste: Die Frage, ob es sich um eine Widerspruchslösung handelt oder um welche Erklärung auch immer, ist nicht entscheidend. Ich erkläre das an zwei Beispielen: Der Chef der spanischen Organisation, Rafael Matesanz, - die Spanier haben eine Widerspruchslösung - sagt, dass sie die Angehörigen in jedem einzelnen Fall um Zustimmung fragen. Also machen die Spanier – trotz Widerspruchslösung – genau das Gleiche wie wir auch. Sagen die Angehörigen in Spanien nein, wird auch keine Entnahme vorgenommen. Es gibt also überhaupt keinen Unterschied zu Deutschland.

Matesanz sagt, der entscheidende Punkt ist, dass in den Krankenhäusern ein Mitarbeiter der Spendeorganisation ist, der die möglichen Organspender erkennt, sich darum kümmert und handelt. Und das haben wir in Deutschland nicht. Das zweite Beispiel ist Österreich. Auch die Österreicher haben eine Widerspruchslösung. Im Salzburger Raum aber liegt die Organspenderate pro Million Einwohner deutlich unter der von Deutschland – obwohl sie eine Widerspruchslösung haben. Dort gibt es keine Organisation, die sich darum kümmert. Es steht und fällt also alles mit einer guten Organisation vor Ort.

Wie schätzen sie denn die Möglichkeit ein, dass dies in der Politik diskutiert wird?

Kirste: Diskutiert vielleicht schon, der Teil dieser Anhörung, die im Juni stattgefunden hat, der jetzige Referentenentwurf, der das Kabinett schon passiert hat, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Er findet an einigen Stellen etwas klarere Vorgaben. Aber: Er muss auf Grund unserer föderalen Struktur vieles der Länderhoheit überlassen. Der Bund kann also in sein Gesetz reinschreiben, was er will, ob die Länder das umsetzen, ist eine ganz andere Frage.

Warum?

Kirste: 16 Bundesländer haben extrem unterschiedliches Interesse, sich mit dem Thema Organspende beschäftigen. Eine ganze Reihe Bundesländer haben bis heute noch kein Ausführungsgesetz zum Transplantationsgesetz erlassen. Es gibt Länder, die ausdrücklich abgelehnt haben, Transplantationsbeauftragte in zu benennen. Und es gibt Länder, die ein gutes Gesetz erlassen haben, sich aber nicht weiter darum kümmern. 

"16 Bundesländer haben extrem
unterschiedliches Interesse,
sich mit dem Thema Organspende beschäftigen" 
 

Woran liegt das?

Kirste: Das hat nichts mit politischer Couleur zu tun, eher vielleicht mit dem persönlichen Interesse der jeweiligen Minister. Ein Beispiel ist Nordrhein-Westfalen. Nordrhein-Westfalen war vor etlichen Jahren mit 8,2 Spendern pro Millionen Einwohnern das schlechteste Bundsland in Deutschland überhaupt. Unter der Führung eines neuen Sozialministers, Herr Laumann, schaffte NRW einen Anstieg auf das doppelte. Damals haben wir immer wieder zu hören bekommen: Mehr Spender gibt es in unserm Land nicht. Wir melden alle potentiellen Spender. Das ist alles Quatsch. Der Grund für die wenigen Spender war: Es gab keine Organisation in NRW.

Wie sähe denn die ideale Lösung in Sachen Organspende für Sie aus?

Kirste: Es gibt 156 größere Spenderkrankenhäuser und 1.400 Krankenhäuser mit Intensivstation, bisher aber nur 65,5 Planstellen für Koordinatoren. Die ideale Lösung wäre – das habe ich bei der Anhörung im Bundestag auch gesagt – wenn die DSO in jeder Universitätsklinik einen Koordinator Vollzeit beschäftigen und in jedem größeren Spendekrankenhaus mindestens eine halbe Stelle geschaffen würde. Das würde bedeuten: Wir bräuchten ungefähr 96 zusätzliche Stellen in Deutschland. Dann können wir so gut agieren wie die Spanier. Das ist das Geheimnis des ganzen Erfolges.


Günther Kirste, geboren 1948 in Celle, studierte Medizin in Berlin und Freiburg. 1995 wurde er Professor für Chirurgie in Freiburg. Kirste ist unter anderem der medizinische Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation und Mitglied der Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer. Foto: Michael Kretzer/DSO

Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) koordiniert bundesweit alle Organspenden. Zu ihren Aufgaben gehört auch die Förderung der Organspenden.