Vatikan-Papier schlägt Wellen in den USA
Am Montag schlug der Päpstliche Rat für Gerechtigkeit und Frieden in Rom die Einrichtung einer Weltnotenbank und eine weltweite Steuerung der Finanzmärkte vor. In den USA wird darüber kurz vor dem G-20-Gipfel in Cannes und angesichts der "Occupy"-Proteste heftig diskutiert. Marktwirtschaftler und Staatsbefürworter liegen sich in den Haaren.
28.10.2011
Von Max Böhnel

Der 39-jährige konservative Bestsellerautor Thomas E. Woods, libertärer Anhänger der österreichischen Wirtschaftstheoretiker Ludwig von Mises und Friedrich Hayek (freier Markt, "laissez faire"), ist der wohl richtigen Meinung, das Dokument hätte auch "von irgendeinem anderen säkularen US-Thinktank verfasst" werden können. Und er hält dessen wirtschaftstheoretische Prämissen für "äusserst verwirrt". Denn für ihn, Woods, besteht das Himmelreich auf Erden im "freien Markt" und im "freien Walten der Kräfte", das sich seiner Ansicht nach immer wieder von staatliche Störenfrieden, etwa der US-Bundesbank Federal Reserve durcheinander bringen lässt.

Woods stösst am meisten auf, dass der Vatikan in dem Dokument die "Vergötterung des Marktes" anprangert, und hält dagegen: "Ja, es gibt Vergötterung, aber nicht die des Marktes, sondern die der Bundesbanken, diese institutionalisierten Quellen des moralischen Schadens und der globalen finanziellen Instabilität".

Der Vatikan solle von der Wirtschaft die Finger lassen

Den Bankern der Bundesbehörden fällt laut Woods die grosse Schuld zu, dass sie den Menschen zur Aufnahme von riskanten Hypotheken rieten. Überhaupt sei der staatlich betriebene Personenkult um Fed-Chefs wie Alan Greenspan und Ben Bernanke ein weiterer Beweis für eine Vergötterung, die nicht dem, wie vom Vatikan behaupteten freien Markt gegolten habe, sondern dem Staat und seinem Personal. Der Markt sei in den USA seit einem Vierteljahrhundert "überreguliert" und habe, so Woods, zu Beginn der Finanzkrise sogar Alarmsignale ausgesandt, die von den Bundesbehörden aber bewusst übersehen worden seien. Schliesslich rät der marktlibertäre Katholik Woods dem Vatikan, von der Wirtschaft die Fimger zu lassen und Ekklesiologie nicht mit Ökonomie zu verwechseln ("don't mix the Ecclesiastical with the Economical").

Woods war nicht der einzige konservative katholische Intellekuelle, der sofort auf die Note des päpstlichen Rats reagierte. Andere verwiesen darauf, dass nicht der Papst selbst das Dokument verlesen hatte und die Erklärung damit nicht die volle Autorität des Heiligen Stuhls geniesst. Der Forschungsleiter des konservativen Acton-Instituts in Grand Rapids im Bundesstaat Michigan, Samuel Gregg, äusserte sich dazu in der rechtskonservativen Zeitschrift "National Review" mit den Worten: "Das Dokument spiegelt ziemlich gewöhnliches Wirtschaftsdenken wieder. Leider wird es uns nicht weiterhelfen, angesichts der Nutzlosigkeit unserer heutigen Wirtschaftswissenschaften".

Dokument soll die "Welt zum Nachdenken provozieren"

Katholiken, die der traditionellen vatikanischen Soziallehre nahestehen, zeigten sich freilich erfreut über das Dokument aus Rom. Sie weisen seit langem auf die sich vertiefende soziale Kluft zwischen Arm und Reich in den USA hin und betonen die Bedeutung der "Occupy"-Proteste. Vincent Miller, Professor für katholische Theologie und Kultur an der Universität von Dayton, schrieb beispielsweise, es zeige sich "deutlich, dass der Vatikan auf Seiten der Occupy-Wall-Street-Protestierer und anderer steht, die sich eine Rückkehr zur Ethik und zur 'good governance' eines Finanzsektors wünschen, der nach 30 Jahren Entregulierung außer Kontrolle geraten ist".

[listbox:title=Originaltexte[Die Soziallehre des Vatikan (englisch)##Die Sozialenzyklika "Caritas in Veritate" (englisch)]]

Bei der Erläuterung des Dokuments aus der Feder des Päpstlichen Rats für Gerechtigkeit und Frieden am Montag hatten sich mehrere Vatikansprecher allerdings nicht so klar geäußert. Der Sekretär des Rats, Bischof Mario Toso hatte betont, "wir machen weniger Lärm", dennoch bestünden Übereinstimmungen mit der Protestbewegung. Es gehe allenfalls darum, "die Welt zum Nachdenken zu provozieren", hatte der Ratspräsident Kardinal Peter Kodwo Appiah Turkson eingeschränkt. Letztendlich war am Montag in Rom die Bedeutung des Dokuments relativiert worden. Nicht der Papst, nur dessen Rat wolle damit einen Diskussionsbeitrag leisten, hiess es. Dieser sei keinesfalls ein Manifest für Dissidenten.

Bereits vor zwei Jahren, nach Ausbruch der Krise, hatte Papst Benedikt XVI. allerdings in der Sozialenzyklika "Caritas in Veritate" (Die Liebe in der Wahrheit) eine "politische Weltautorität" eingefordert, die das internationale Finanz- und Währungssystem in seine Schranken weisen kann. Er prangerte darin "Korruption und Gesetzeslosigkeit" wirtschaftlicher und politischer Eliten in reichen wie armen Ländern an.

"Wirtschaftsethik, die den Menschen im Mittelpunkt sieht"

Auf die Enzyklika beriefen sich denn auch weitere katholische Liberale und Linke. Der ehemalige Redakteur der grössten katholischen US-Wochenzeitschrift "America" Thomas J. Reese lobte die päpstliche Einforderung einer "Wirtschaftsethik, die den Menschen im Mittelpunkt sieht". Der Durchschnittsamerikaner halte den Papst wegen seiner Position zu Abtreibung und Homosexuellen eher für einen Republikaner, aber in Sachen Wirtschafts- und Soziallehre stehe Benedikt XVI. "links von Präsident Obama".

Die rechte und sehr markt- und konzernfreundliche Tea-Party-Bewegung braucht laut Reese den Papst nicht einzuladen, "weil er dann sowieso nicht kommt". Aber ein weißes, mit Sonnenenergie betriebenes Papamobil, das sich in Richtung Wall Street bewegt, sei durchaus denkbar, gab Reese im Radiosender "National Public Radio" augenzwinkernd zu Protokoll.

John Gehring von der liberalen katholischen Vereinigung "Faith in Public Life", die den Demokraten und Barack Obama nahesteht, machte via "New York Times" einen realpolitischen Vorschlag angesichts des Wahlkampfs zwischen Demokraten und Republikanern, der im Herbst 2012 entschieden wird. Es solle doch jemand in aller Öffentlichkeit die führenden katholischen Republikaner einfach mal fragen, was sie von der vatikanischen Forderung nach einer Finanzreform halten. Ein Newt Gingrich oder Rick Santorum, mächtige Republikaner, Marktfundamentalisten - und katholisch - wären dann wegen ihrer offenliegenden Widersprüche ziemlich angeschmiert.


Max Böhnel studierte Politikwissenschaften in Berlin. Heute lebt und arbeitet er als Journalist in New York.