"John Rabe", 31. Oktober, 20.15 Uhr im Zweiten
Es ist schon erstaunlich, wie lange Deutschland einen seiner größten Helden verkannt hat. Erst die Entdeckung seiner Tagebücher im Jahr 1996 haben dem gebürtigen Hamburger John Rabe zu jener Ehre verholfen, die ihm gebührt. In China dagegen hat man seine Verdienste nie vergessen: 1937 hat Rabe, Leiter der Siemens-Niederlassung in Nanking, erheblich zur Rettung von 200.000 Menschen beigetragen. Als Filmstoff eignet sich das Ereignis mindestens so gut wie die Rettungstaten Oskar Schindlers. Florian Gallenberger mag nicht Steven Spielberg sein, aber sehenswert ist sein Film dennoch; und sei es nur wegen Ulrich Tukur, der in der Titelrolle wie schon so oft sein ganzes Charisma entfaltet.
"John Rabe" ist fürs Kino produziert worden, dort aber komplett untergegangen. Die als Zweiteiler konzipierte Fernsehfassung ist rund fünfzig Minuten länger. Viele Nebenstränge, die im Kinofilm nur an-, aber nicht auserzählt worden sind, bekommen hier ein ganz anderes Gewicht. Trotzdem bleibt es befremdlich, dass Gallenberger (Buch und Regie) Rabes Verhältnis zum Nationalsozialismus so ungebrochen inszeniert. Er stellt den Kaufmann, ein NSDAP-Mitglied, als "guten Nazi" dar; eigentlich ein Widerspruch in sich.
Rabe beweist menschliche Größe
Historiker halten Rabe zugute, dass er jahrzehntelang in China gelebt und daher gar nicht genau gewusst habe, wen er da unterstützt. Gallenberger verstärkt diesen Eindruck noch, indem er Rabe mit einem "richtigen" Nazi (Mathias Herrmann) konfrontiert, einem gefühlskalten Karrieristen, der mit seinem durch diverse Schmisse verunstaltetem Gesicht fast wie eine Karikatur wirkt. Und natürlich verfehlt es seine Wirkung nicht, als Rabe den Mann öffentlich demütigt. Spätestens jetzt ist der Held dieser Geschichte über jeden Zweifel erhaben.
Der Faszination des Stoffs tut die Widersprüchlichkeit der Hauptfigur keinen Abbruch, zumal es große verbürgte Bilder gibt: Als japanische Flugzeuge ihre Bomben auf Nanking werfen, rettet er Mitarbeiter und Nachbarn der Fabrik, indem er eine riesige Hakenkreuzflagge wie einen Baldachin aufspannen lässt. Als Verbündete des "Deutschen Reichs" verschonen die Japaner die Fabrik. Endgültig menschliche Größe beweist Rabe, als er die rettende Schiffspassage in die Heimat nicht nutzt. Statt dessen richtet gemeinsam mit anderen Europäern (unter anderem Steve Buscemi) eine Schutzzone für Zivilisten ein und investiert sein Privatvermögen, um Nahrungsmittel zu kaufen. Der Abschied von seiner Frau (Dagmar Manzel) ist großes Fernsehen und doch nur Vorspiel für den tragischsten Moment dieses Films.
Drastischer Gegenentwurf zum heldenhaften Verhalten des Deutschen sind die Gräueltaten der Japaner, die immer wieder wahre Massaker unter den chinesischen Soldaten anrichten. Eine Beschönigung des Krieges kann man Gallenberger wahrlich nicht vorwerfen.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).