TV-Tipp des Tages: "Polizeiruf 110: Blutige Straße" (ZDF)
Betrug in großem Stil, diverse Honoratioren sind darin verwickelt: Im letzten Fall hatte sich Hauptkommissar Schmücke eine lebensgefährliche Verletzung zugezogen und zieht nun die Fäden vom Krankenbett aus.
28.10.2011
Von Tilmann P. Gangloff

"Polizeiruf 110: Blutige Straße", 30. Oktober, 20.15 Uhr im Ersten

Wenn ein vielfach ausgezeichneter Regisseur wie Dror Zahavi einen Reihenkrimi inszeniert, darf man mit Fug und Recht etwas Besonderes erwarten. Aber dieser "Polizeiruf" aus Halle zeichnet sich nicht nur durch eine bemerkenswerte Dichte aus, sondern vor allem durch eine originell erzählte Geschichte, auch wenn der Kern der Handlung nicht neu ist: Es geht um Betrug in großem Stil, diverse Honoratioren sind darin verwickelt. Das Drehbuch stammt von Hans-Werner Honert, selbst ein erfahrener Regisseur, der schon zwei Dutzend Sonntagskrimis produziert hat. Der Reiz seiner Erzählung liegt nicht zuletzt in den ungewöhnlichen Perspektiven und der Wahl der Hauptfigur. Und da Zahavi ("Mein Leben – Marcel Reich-Ranicki") mit außergewöhnlich guten Schauspielern arbeiten konnte, ist "Blutige Straße" mehr als bloß eine Bestätigung für den ungewöhnlichen Aufwärtstrend der MDR-Krimis.

Erotische Inszenierung der Ermittler

Natürlich wäre es Unfug, diesen Qualitätsschub allein durch die Mitwirkung von Isabell Gerschke zu erklären. Aber seit sie im Frühjahr letzten Jahres ihr Debüt als Oberkommissarin Nora Lindner gab, hat sie nicht bloß den Altersschnitt des Ermittlerclubs aus Halle drastisch gesenkt, sondern auch für eine Menge frischen Wind gesorgt: weil die neue Figur die eingespielten Mechanismen unter den Platzhirschen durcheinander brachte, weil die junge Kollegin naturgemäß andere Interessen und Fähigkeiten besitzt; und weil sie eine Frau ist. Honert nutzt das diesmal weidlich aus, als er Nora Lindner den schmucken neuen Staatsanwalt Ole Mahler (Mišel Mati?evi?) vernaschen lässt. Die erotische Inszenierung der Ermittler ist für einen Sonntagskrimi ja eher ungewöhnlich; kein Wunder angesichts des fortgeschrittenen Alters der meisten Kommissare. Auch in dieser Hinsicht bereichert Gerschke den "Polizeiruf" um ein buchstäblich reizvolles neues Element. Natürlich wäre das alles bloß Beiwerk, wenn die Handlung nicht funktionieren würde. Aber der Krimi wird noch mal deutlich interessanter, weil sich die Oberkommissarin selbst in die Bredouille bringt.

Mindestens ebenso sehenswert wie die gemeinsamen Szenen von Gerschke und Mati?evi? ist das Zusammenspiel der beiden DEFA-Stars Jaecki Schwarz und Henry Hübchen. Im letzten Fall hatte sich Hauptkommissar Schmücke eine lebensgefährliche Verletzung zugezogen und zieht nun die Fäden vom Krankenbett aus. Da trifft es sich gut, dass auch der verkrachte Sensationsreporter Klaue (Hübchen) eingeliefert wird, nachdem sein Wohnwagen in die Luft geflogen ist. Klaue hat Beweise dafür, dass die Leitung des Autobahnamts und ein Bauunternehmer gemeinsam in miese Geschäfte verwickelt sind. Auch die Staatsanwaltschaft hängt mit drin, denn es gibt da ein nicht unwesentliches Detail in der Biografie von Mahler, dass der mittlerweile schwer verliebten Nora Lindner entgangen ist. Dass Zahavi und Kameramann Ralph Netzer die Bilder mit größter Sorgfalt gestaltet und teilweise regelrecht komponiert haben, macht diesen "Polizeiruf" auch ästhetisch zu einem Genuss; selbst wenn der Film mit einem echten Schock beginnt.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).