Die Geburt des Siebenmilliardsten
Grund zum Feiern? Oder doch nicht? Ende Oktober erreicht die Weltbevölkerung die Sieben-Milliarden-Marke. Ein geschätzter Termin für eine geschätzte Zahl soll zum Nachdenken anregen.
27.10.2011
Von Jan Dirk Herbermann

Seit Monaten schon stimmen die Vereinten Nationen die Menschheit auf den großen Tag ein. Am kommenden Montag soll es soweit sein. Eines der vielen Tausend Kinder, die auf die Welt kommen, wird nach Schätzungen der UN der siebenmilliardste Erdenbürger sein. "Wir müssen diesem Kind und seiner ganzen Generation eine lebenswerte Zukunft geben", mahnt UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Doch der Junge oder das Mädchen wird in eine Welt hineingeboren, in der Hunderte Millionen Menschen Mangel erleiden.

Und: Wir werden immer mehr. Bis zum Ende des Jahrhunderts werden nach UN-Prognosen zehn Milliarden Kinder, Frauen und Männer leben. "Die Bevölkerung wächst in den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt am schnellsten", erläutert die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung. So werde sich wahrscheinlich die Zahl der Einwohner in den 50 ärmsten Ländern der Welt (LDC) von heute rund 830 Millionen auf 2,7 Milliarden im Jahr 2100 fast vervierfachen.

Kampf gegen Armut, Hunger und Perspektivlosigkeit

"Die starke Bevölkerungszunahme bringt enorme Herausforderungen mit sich - der Druck auf die Gesundheits- und Bildungssysteme und auf die Ernährungslage wird steigen", betonen die Experten der Stiftung Weltbevölkerung. Mit anderen Worten: Mit der Bevölkerung wächst die Armut. Besonders schwer haben es die Menschen in Afrika, in Ländern wie Äthiopien, Somalia oder dem Niger. Aber auch in asiatischen und lateinamerikanischen Ländern mit hohem Bevölkerungswachstum kämpfen die Menschen gegen Armut und Hunger.

Im Jemen etwa bedroht der Hunger nach jüngsten UNICEF-Berechnungen ein Drittel der 24 Millionen Einwohner. Weit mehr als die Hälfte aller jungen Leute von 15 bis 24 Jahren haben keinen Job, das Personal in den wenigen Krankenhäusern ist hoffnungslos überfordert. Wie andere bitterarme Länder fällt Jemen durch eine hohe Geburtenrate auf: Jede Frau bringt im Durchschnitt 5,1 Kinder zur Welt. "Diese Kinder werden ins Elend hineingeboren", konstatiert Geert Cappelaere, der Jemen-Beauftragte des UN-Kinderhilfswerkes.

Auch weltweit scheint der Kampf gegen das Elend nicht schnell genug voranzuschreiten. Die Zahl der Hungernden stieg laut Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO zwischen 2008 und 2010 von 850 Millionen auf 925 Millionen. Global fristen rund eine Milliarde Menschen ein Leben in extremer Armut mit weniger als 1,25 US-Dollar am Tag.

Besonders entmutigend sind die Zukunftsperspektiven der heranwachsenden Generation: Nach sehr konservativen Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) finden 75 Millionen oder 13 Prozent der jungen Menschen im Alter von 15 bis 24 Jahren keinen Job. Die Dunkelziffer liegt weit höher. "Millionen Jugendliche rund um die Welt empfinden Frust und Wut", betont ILO-Direktor Manuel Salazar-Xirinachs. Mit Prognosen zu der Entwicklung der Jugendarbeitslosigkeit bei steigender Weltbevölkerung hält sich der ILO-Experte jedoch zurück.

Ungewollte Schwangerschaften verhindern

Wie aber sollen die Regierenden auf das Bevölkerungswachstum reagieren? Die Politik müsse mehr Frauen den Zugang zu Verhütungsmitteln ermöglichen, sagt Tanja Kiziak vom Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Etwa 215 Millionen verheiratete Frauen in armen Ländern hätten keine Möglichkeit, ungewollte Schwangerschaften zu verhindern. Zudem fordert Kiziak mehr Investitionen in die Bildung junger Frauen. Gebildete Frauen wüssten besser, "wie sie die Überlebenschancen ihrer Kinder erhöhen können". Dennoch gibt sich die Demografie-Expertin optimistisch: "Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos."

Empirisch nachgewiesen ist, dass die hohe Geburtenrate in vielen armen Ländern Folge der hohen Kindersterblichkeit ist. Der schwedische Bevölkerungswissenschaftler Hans Rosling erklärt den Zusammenhang so: "Nur in wirklich armen Teilen der Welt gebären Frauen fünf oder sechs Kinder. Nicht weil sie sich große Familien wünschen, sondern weil sie damit rechnen müssen, dass jedes zweite oder dritte Kind stirbt."

epd