Auf den ersten Blick löst die Anzeige Empörung aus: Eine Bank stellt sich hier offenbar demonstrativ an die Seite der Occupy-Bewegung. Abgebildet ist ein Foto von der Demo in Frankfurt am Main am 15. Oktober. Darauf sind maskierte Demonstranten zu sehen, die ein Plakat in die Luft halten mit der Aufschrift: "Wir wollen direkte Demokratie vor Ort statt Zentralismus aus Berlin oder Brüssel." Unter dem Bild der Werbeslogan "Jeder Mensch hat etwas, das ihn antreibt. Wir machen den Weg frei. Volksbanken Raiffeisenbanken".
Was soll die Anzeige aussagen? Dass Volksbanken und Raiffeisenbanken den Demonstrationen den Weg frei machen, sie unterstützen, am Ende sogar finanziell? Dass sie sich mit den Zielen der Occupy-Bewegung identifizieren, auch für Demokratie und dezentrale Entscheidungs-Strukturen sind - am Ende sogar gegen die Macht der großen Banken? Dass sie besser sind als die anderen - am Ende sogar eine richtig gute Bank? Genau das. Die Volksbanken und Raiffeisenbanken vereinnahmen die Occupy-Bewegung, um ihre Werbeaussage unters Volk zu bringen.
"Uns bewegt das, wenn Menschen auf die Straße gehen"
Cornelia Schulz, Sprecherin des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken, formuliert das weniger scharf. Das Anzeigenmotiv mit den Demonstranten sei eines von mehreren, erklärt sie, und beschreibt dann, wie die aktuelle Werbekampagne funktionieren soll. Die Kampagne mit dem Slogan "Jeder Mensch hat etwas, das ihn antreibt" gehe dokumentarisch vor, so Schulz: "Es geht um authentische Personen, die ihre persönlichen Wünsche und Ziele erzählen. Die werden in einem Zitat auf den Punkt gebracht." In diesem Zusammenhang würden auch die Frankfurter Demonstranten abgebildet. "Deren Motivation steht in der Anzeige im Mittelpunkt", so die Sprecherin.
Die Zeitungsanzeige der Volksbanken und Raiffeisenbanken. Foto: Volksbanken/Agentur Heimat/Anika Kempf/evangelisch.de
Wie praktisch, dass das Plakat der Demonstranten Schlagworte nennt, mit denen sich die Volksbanken und Raiffeisenbanken tatsächlich identifizieren können. Bei den Genossenschaftsbanken sind die Kunden gleichzeitig Miteigentümer, die Organisationsform sei demokratisch, die Geschäfte immer kundennah, erklärt Cornelia Schulz. Die Volksbanken und Raiffeisenbanken machten keine spekulativen Geschäfte.
"Natürlich kann man sich nicht ganz vom Kapitalmarkt lossagen", gesteht sie ein, "aber man muss die Risiken im Griff behalten, es muss einen Bezug zur Realwirtschaft haben." Insoweit identifizieren sich die Volksbanken und Raiffeisenbanken wirklich - obwohl es sich um Banken handelt - mit den Zielen der Occupy-Bewegung: "Wir können Forderungen verstehen, die in die Richtung gehen, dass man sich gegen die reine Spekulation wendet."
Kernbereich der Volksbanken und Raiffeisenbanken seien "klassische Geschäfte mit den Kunden", sie seien immer in die "regionalen Wirtschaftskreisläufe vor Ort" integriert, erklärt Cornelia Schulz. Das erklärt sich schon aus der Tradition der Genossenschaftsbanken, an deren Anfang ein Modell der Selbsthilfe und Zusammenarbeit unter der landwirtschaftlich arbeitenden Bevölkerung in den Regionen stand. Das Prinzip gilt noch heute: "Der Kreislauf des Geldes ist nie vom Kunden gelöst", fasst Schulz zusammen.
Weder ganz "gut" noch ganz "schlecht"
Aber wie lassen die Volksbanken und Raiffeisenbanken ihr Geld arbeiten? Investieren sie in Geschäfte mit der Atom- oder Rüstungsindustrie, in Nahrungsmittelspekulationen oder ähnliches - kurz: in Bereiche, mit denen sich die Occupy-Bewegung vermutlich nicht identifizieren könnte? Dazu gibt die Sprecherin des Bundesverbandes keine klare Antwort, und das ist auch gar nicht so einfach. Denn die Volksbanken und Raiffeisenbanken arbeiten regional, versorgen kleine Firmen vor Ort mit Krediten. Es lässt sich kaum auf einen Blick feststellen, ob und wo ethisch fragwürdige Geschäfte dabei sein könnten.
Die Organisation urgewald in Berlin und das Antiglobalisierungsnetzwerk attac haben anhand von ethischen Kriterien untersucht, wie verschiedene Banken arbeiten und ihr Geld investieren. Für die Volksbanken und Raiffeisenbanken kommen beide zu demselben Ergebnis. Es ist durchwachsen: Die Genossenschaftsbanken sind keine ganz "schlechten", aber auch keine einwandfrei "guten" Banken. Kunden, die eine ethisch saubere Bank vor Ort suchen, empfehlen urgewald und attac, sich an die Sparkassen oder Volksbanken und Raiffeisenbanken zu wenden und dort jeweils gezielt nach deren Geschäften zu fragen.
"Bei der Atomfirmenfinanzierung kommen die Volksbanken überhaupt nicht vor. Die sind zu klein", sagt Regine Richter, Campaignerin von urgewald. Die Volksbanken gingen gerade "in den Nachhaltigkeitsbereich rein": deren Fondsgesellschaft Union Investment habe auf Druck reagiert und Geschäfte mit Streumunition zurückgefahren. "Die sind zwar nicht so weit wie die Ethikbanken, aber es passiert schon einiges", fasst die Campaignerin zusammen.
Atomgeschäfte und Nahrungsmittel-Fonds
Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit: Die DZ-Bank, das Zentralinstitut der Volksbanken und Raiffeisenbanken, das die internationalen Geschäfte abwickelt, hat laut urgewald ein großes kasachisches Gasunternehmen mit Geld versorgt und ist mit Finanzdienstleistungen bei allen großen europäischen Energieunternehmen aktiv. Attac formuliert es deutlicher: "Die DZ-Bank unterstützt etliche Atomkonzerne." Außerdem macht attac auf das breite Angebot an Agrarfonds bei der DZ-Bank aufmerksam. "Wissenschaftlich ist nicht ganz erwiesen, wie stark die Spekulation mit Nahrungsmitteln die Preise nach oben treibt, aber dass sie es tut, ist erwiesen", sagt attac-Pressesprecherin Frauke Distelrath. "Diese Form dürfte es unserer Meinung nach nicht geben."
Passen solche Geschäfte zur Occupy-Bewegung? Sicher nicht. Die Demonstrierenden im Frankfurter Camp haben die Anzeigenkampagne der Volksbanken und Raiffeisenbanken zur Kenntnis genommen und darüber diskutiert. "Die Meinungen gehen auseinander", sagt Matthias Berger vom Presseteam. Ob man zwischen guten und schlechten Banken unterscheiden könne, sei im Camp schon strittig gewesen, als die ethisch korrekt wirtschaftende GLS-Bank den Demonstranten Duschen angeboten habe.
"Was man kritisch sehen könnte, ist in der Tat der Widerspruch zwischen dem gemeinsamen Vorgehen gegen die Finanzwelt und andererseits der Vereinnahmung durch diese", gibt Matthias Berger zu bedenken. Doch er selbst schließt sich dieser Kritik gar nicht an, sondern sieht die Sache sehr pragmatisch. "Wir sind eine kleine Bewegung, die am Anfang steht", beginnt er seine Argumentation. "Wenn wir das Ziel erreichen wollen, für die Masse etwas entscheidend zu verändern, dann funktioniert das am besten über Massenkommunikation. Das nützt uns mehr als es uns schaden kann."
Occupy Frankfurt kommt gern in den Medien vor - egal wie
Allerdings: Die in der Anzeige abgebildeten Demonstranten wurden vorher nicht gefragt, ob sie Teil einer Werbekampagne der Volksbanken und Raiffeisenbanken sein möchten. Das Bild wurde auf üblichem Weg von einer Fotoagentur eingekauft. Matthias Berger findet es im Zusammenhang mit der Werbeanzeige okay: "Es wurde uns nichts in den Mund gelegt, was wir nicht gesagt hätten. Inhaltlich ist das nichts, was jemandem aufstößt."
Wichtig ist dem Sprecher von Occupy-Frankfurt auch, dass keine Gesichter von Demonstranten zu sehen sind. Bewusst hat die Werbeabteilung der Volksbanken und Raiffeisenbanken darauf geachtet, dass die abgebildeten Personen auf dem Motiv nicht identifizierbar sind, weil sie zum Beispiel maskiert sind. Auf dem Foto sind Demonstranten der Anonymous-Bewegung zu sehen, eines weltweiten losen Verbundes von Aktivisten, die immer ihre typischen Masken tragen. Bei Occupy Frankfurt sind sie genauso willkommen wie alle anderen Mit-Demonstranten.
Und genauso willkommen wie die Anzeigenkampagne der Volksbanken und Raiffeisenbanken. Die Occupy-Bewegung ist inhaltlich noch sehr offen und nimmt Unterstützung an, wie sie kommt. Aus Matthias Bergers Sicht nutzt die Bewegung momentan eine Art "Guerilla-Taktik": Besser in den Medien vorkommen als nicht vorkommen. Publicity ist besser als keine Publicity. Was könnte es da besseres geben als großformatige Bilder der Occupy-Bewegung in der FAZ, der Süddeutschen, der Welt und der taz? "Wenn die Geld in die Hand nehmen, um uns in die Medien zu bringen, sehe ich das positiv", sagt Berger.
Anne Kampf ist Redakteurin bei evangelisch.de und zuständig für die Ressorts Politik und Gesellschaft.