Occupy Wall Street – besetzt die Wall Street. Zuerst waren es nur eine Handvoll Studenten, die im Central Park campten. Dann demonstrierten 1.500 Menschen in New York, eine Woche darauf waren es schon mehr als 7.000. Und die Welle schwappte über den Atlantik, nach Spanien, Italien, Portugal, England, Belgien, Deutschland. Zusammengenommen eine Massenbewegung - so einfach ist es aber dann doch nicht.
Denn die "Betroffenheit der Demonstranten" ist unterschiedlich, sagt Simon Teune vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). "Wir sind die 99 Prozent", war auf den Schildern der Protestierenden in New York zu lesen. Eine Anspielung auf die Reichtumsverhältnisse der US-Bürger. Ein Prozent Superreiche, 99 Prozent weniger Privilegierte. Auch deshalb die Proteste: Um den Umbau des Sozialsystems zu Gunsten der Ärmeren zu bewirken. In Israel geht es um zu hohe Mieten, in Spanien um die Arbeitslosigkeit und die damit verbundene Perspektivlosigkeit der Jugend.
Und in Deutschland? "Hier haben die Proteste nicht die Dynamik erreicht wie in anderen Ländern", sagt Teune, der unter anderem über Protestbewegungen forscht. Während sich in Madrid, Lissabon und Rom je 100.000 Menschen den Protestzügen anschlossen, waren es in Deutschland sehr viel weniger. Das liege auch am "anderen Charakter" der Proteste in Deutschland. In anderen Ländern hätte die Krise spürbar die Mittelschicht erreicht, Betroffene hätten ihr Haus verloren oder Lohnkürzungen zu verkraften. "Die Deutschen sind noch nicht in so großer Zahl und in dieser Art betroffen."
Die Proteste werden aus der Mitte der Gesellschaft heraus organisiert
Übrigens: Auch in Ost-Europa gab es einzelne Proteste. Dass die nicht stärker wurden, liegt nicht am mangelnden Interesse am Thema im Osten, sondern an einer Ost-West-Trennung in der Protestkultur: "Straßenprotest ist nicht das erste Mittel, das die Menschen in Ost-Europa wählen", sagt Teune. Der Grund: Von autoritären Regimes wurden sie als Machtdemonstration genutzt. So hafte Protesten in Ost-Europa nach wie vor ein Makel an.
Trotzdem. Etwas Besonders ist sie schon, diese Bewegung - auch in Deutschland. Denn Vergleichbares sei schwer zu finden, sagt Simon Teune. Zwar habe es Proteste der Massen schon oft gegeben - auch über Kontinente hinweg, zum Beispiel gegen den Irak-Krieg 2003 oder die Studentenbewegung 1968. Dass aber diese Proteste gleichzeitig graswurzelförmig - also aus der Mitte der Gesellschaft heraus - organisiert und synchron seien, das sei neu.
Und dann gibt es doch noch Gemeinsamkeiten bei den Protesten. Zwar sind die Auswirkungen der Bankenkrise, gegen die die Menschen protestieren, nicht immer dieselben. Aber die Unfähigkeit des jeweiligen politischen Systems auf die sozialen Auswirkungen der Krise zu reagieren, sei ähnlich - egal ob in Spanien oder Deutschland - und dagegen richte sich der Protest zu allererst, sagt Teune. Zweitens: Es ist die Mittelschicht, die demonstriert. Und: Das Medieninteresse ist enorm - vor allem in Deutschland. Woran das liegt? "Die Proteste haben deshalb einen so großen Nachrichtenwert, weil sich die Krise zuspitzt und in den Protesten die damit verbundenen Konflikte sichtbar werden", sagt Teune.
Maike Freund ist Redakteurin bei evangelisch.de