Stadt in Trümmern: In Ercis finden Retter vor allem Tote
Rettungsteams bemühen sich um die Bergung von Verschütteten im türkischen Erdbebengebiet. Doch Angehörigen der Opfer klagen, die Hilfe reiche nicht aus. Zwischen Trümmern warten sie verzweifelt auf Lebenszeichen.
24.10.2011
Von Jasper Mortimer und Carsten Hoffmann

Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit in einer in Trümmern liegenden Stadt: In Ercis suchen türkische Katastrophenhelfer einen Tag nach dem verheerenden Erdbeben zwischen Bergen aus Schutt und verkanteten Betonplatten nach Überlebenden - und finden doch oft nur Tote.

Für Vehap Erincik ist es am Montag ein verzweifeltes Warten vor den Trümmern eines Hauses, unter dem seine Verwandten liegen. Vermisst wird eine Familie mit einem 14 Tage alten Baby. "Ich bin sehr enttäuscht", sagte Erincik, dem ein Restaurant gehört. "Die Rettungsmannschaften sind sehr unprofessionell." Unmittelbar nach dem Beben wurden noch drei Überlebende in den Trümmern gefunden, die einmal ein Gebäude mit 20 Wohnungen bildetet. Doch am Montag finden Bergungsmannschaften nur Leichen. Die Überlebenden stehen an Holzfeuern auf den Straßen. Mit Zelten bereiten sie sich auf die Nacht vor.

Bereits mehr als 260 Leichen geborgen

Etwa 80 mehrstöckige Gebäude sind in der 75.000 Einwohner zählenden Stadt eingestürzt. Trümmer liegen quer über den Straßen oder haben sich in den Lücken benachbarter Gebäude verkantet. Mit Sirenen und Blaulicht versuchen Notärzte, sich einen Weg zu bahnen. Bergungsteams haben Kräne und Bagger herangeschafft. Mit Hunden werden die Trümmer durchsucht. Wenn Häuser noch stehen, haben sie meist Risse in den Wänden.

[listbox:title=Mit Spenden helfen[Für ihre Arbeit bitten Diakonie Katastrophenhilfe und Caritas International um Spenden unter dem Stichwort "Erdbebenhilfe Türkei":##Diakonie Katastrophenhilfe: Konto 502 707, Postbank Stuttgart, BLZ 600 100 70##Caritas international: Konto 202, Bank für Sozialwirtschaft Karlsruhe, BLZ 660 205 00]]

Unter dem Schutt von 40 Gebäuden vermuten die Helfer noch Menschen. In der Nacht zum Montag waren noch Hilferufe zu hören. Nur noch einige Dutzend Menschen sind verschüttet, vermuten einige Experten. Die Zahl von mehr als 1.000 Toten, die Fachleute der Istanbuler Erdbebenwarte Kandilli zunächst befürchteten, wird möglicherweise doch nicht erreicht.

Etwa 24 Stunden nach dem Beben sind mehr als 260 Leichen geborgen worden. "Mit den Rettungsarbeiten kann die Zahl noch steigen, aber nicht in diese Größenordnung", sagt Innenminister Idris Naim Sahin, der den Einsatz von Feuerwehr und Armee in Ercis koordiniert.

Zwei kleine Kinder können die Retter lebend aus dem Schutt eines Hauses ziehen. Ein verschütteter 19-Jähriger hilft sich selbst, indem er Hilfskräfte mit einem Anruf bei der Polizei zu sich führt. Auch drei Frauen werden gerettet. Einige Verschüttete, heißt es, haben SMS-Kurznachrichten geschickt und so auf sich aufmerksam gemacht.

Das Leid überbrückt die türkisch-kurdischen Gräben nicht

Es sind vor allem alte Lehmziegel-Hütten in den Dörfern und billig errichtete Hochhäuser in den Städten, die den Erschütterungen nicht stand hielten. Und das nicht zum ersten Mal: Imer wieder erhebt sich nach Erdbeben in der Türkei Kritik an der Bauweise, die oft nicht einmal grundlegendste Vorschriften erfüllt. Im armen Osten der Türkei, in dem der Kampf zwischen der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK und der türkischen Armee tobt, fehlt wohl auch das Geld für erdbebensichere Neubauten.

Nicht einmal das Leid kann die tiefen Gräben zwischen Kurden und Türken überbrücken. In einschlägigen Internetforen wird das Erdbeben als "Strafe Gottes für den Terror der PKK" gesehen, was wiederum Zeitungskommentatoren und Fernsehkorrespondenten am Montag heftig kritisieren.

Auch wenn das Ausmaß des Erdbebens nicht so groß scheint wie zunächst befürchtet, sind die Hilfsorganisationen doch direkt in Aktion getreten. Die Diakonie Katastrophenhilfe und Caritas international stellen gemeinsam 100.000 Euro Soforthilfe zur Verfügung. In der Türkei arbeiten sie mit der türkischen Partnerorganisation "Support to Life" (StL) zusammen. StL wird ihre Hilfsmaßnahmen auf die ländlichen Regionen konzentrieren, weil dort bisher nahezu keine Unterstützung angekommen ist.

Nach ersten Schätzungen sind in der Region insgesamt 200.000 Menschen von dem Erdbeben betroffen. Viele leben in schwer zugänglichen Dörfern. Neben Nahrungsmitteln und Medikamenten werden vor allem Zelte, Decken und Gasheizgeräte benötigt, weil die Temperaturen in den betroffenen Gebieten um die Städte Van und Ercis nachts unter den Gefrierpunkt sinken.

dpa/evangelisch.de