"Schreie der Vergessenen", 27. Oktober, 20.15 Uhr auf ProSieben
Anfangs sind es bloß Kratzer, die an der Universität Stuttgart wie von Geisterhand auf einer Scheibe erscheinen, dann formen sie ein Hakenkreuz, bis schließlich Glas und Gläser bersten und die Luft voller Scherben ist. Für die Polizei ist das Thema bald erledigt: ein Studentenstreich, dessen Urheber ohnehin nicht dingfest zu machen ist. Dem jungen Kommissar Bernau (Vinzenz Kiefer) lässt die Sache jedoch keine Ruhe, erst recht, als er im Keller der Uni ein schockierendes Erlebnis hat: Aus flirrendem Staub formt sich das Gesicht eines kleinen Mädchens, das ihn anzugreifen scheint.
Es sind vor allem die optischen Effekte, die zu Beginn dieses Mystery-Thrillers den größten Eindruck machen. Der Schrecken allerdings entsteht in erster Linie über die Tonspur: Musik und Geräusche sorgen für wohliges Schaudern. Erst nach und nach lässt das Drehbuch (Axel Melzener) seine Katzen aus dem Sack. So stellt sich zum Beispiel raus, dass Bernau unter einem Trauma leidet, seit sein kleiner Bruder von Einbrechern erschlagen worden ist.
Parapsychologisches Forschungsteam setzt Medium ein
Mit diesen Erinnerungen wird er prompt konfrontiert, als ein parapsychologisches Forschungsteam unter der Leitung von Professor Angerer (Manfred Zapatka) den mysteriösen Erscheinungen auf den Grund geht. Mit Hilfe eines Mediums finden Angerer und der mittlerweile suspendierte Polizist heraus, dass die Phänomene Hilferufe der ruhelosen Seelen kleiner Kinder sind. Die Spur führt zurück zu einem besonders grauenhaften Kapitel nationalsozialistischer Forschungen; und dieses Kapitel ist noch nicht beendet.
"Schreie der Vergessenen" ist im Rahmen einer Kooperation zur Nachwuchsförderung zwischen ProSiebenSat.1 und der Filmakademie Ludwigsburg entstanden. Aber Regisseur Lars Henning Jung nutzt seine vergleichsweise sparsamen Mittel geschickt; der Film setzt zwangsläufig auf Fantasie und Kreativität, wo andere tief in die digitale Zauberkiste greifen können. Eine positive Überraschung ist auch das Schauspieldebüt der rothaarigen "Topmodel"-Gewinnerin Barbara Meier. Sie spielt das gehörlose Medium, das sich per Gebärdensprache mit den Parapsychologen verständigt, und sie macht das richtig gut.
Auch wenn der Film am Ende etwas abhebt, als sich Bernau auf eine Nahtod-Erfahrung einlässt, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, und eine Mitarbeiterin des Professors bereits einen Verband trägt, obwohl sie sich erst in der nächsten Szene am Arm verletzt: Der Film ist durchaus sehenswert. Und jugendliche Fans von "Germany’s Next Topmodel", die sich auf ein Wiedersehen mit Meier freuen, werden sich ganz schön gruseln.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).