Der Europäische Gerichtshof hat gesprochen: Stammzellen, die aus menschlichen Embryonen gewonnen werden, dürfen nicht patentiert werden. Ihre Patentierung verstößt gegen die Biopatentrichtlinie der EU, welche die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen und kommerziellen Zwecken von der Patentierbarkeit ausschließt. Es ist zu begrüßen, dass der Luxemburger Gerichtshof auf einem heiß umkämpften Gebiet der Biomedizin rechtlich Klarheit schafft und der Schutz der Menschenwürde in allen Phasen des menschlichen Lebens, auch seinem Beginn, Nachdruck verleiht.
Zu Recht urteilt der Europäische Gerichtshof, man könne bei der Stammzellforschung nicht fein säuberlich zwischen reinen Forschungszwecken und kommerzieller Nutzung trennen. Vom Patentierungsverbot seien lediglich solche Erfindungen ausgenommen, die der medizinischen Behandlung menschlicher Embryonen dienen könnten. Der fortschreitenden Kommerzialisierung des menschlichen Körpers werden also enge Grenzen gezogen.
Dennoch muss man hinter dieses Urteil einige Fragezeichen setzen. Sie betreffen nicht nur seine Auswirkungen auf die medizinische Forschung, sondern auch seine Begründung. Im Kern dreht sich der Rechtsstreit zwischen dem deutschen Stammzellforscher Oliver Brüstle und der Umweltschutzorganisation Greenpeace darum, was ein Embryo ist und ob die Zerstörung eines Embryos zur Gewinnung von Stammzellen in jedem Fall einen Verstoß gegen die Menschenwürde und die guten Sitten sei.
Ist die befruchtete Eizelle ein Mensch mit Personwürde?
Ab wann man werdendes menschliches Leben als Embryo bezeichnen soll, und ob bereits die befruchtete Eizelle ein Mensch mit Personwürde ist, ist weltweit medizinisch, ethisch und rechtlich umstritten. Die Luxemburger Richter betonen, sie wollten auf diese Frage nicht näher eingehen, sondern lediglich Unklarheiten in der Auslegung der europäischen Biopatentrichtlinie beseitigen.
Die Gesetzgebung der Mitgliedsstaaten der EU weist zum Teil erheblich Unterschiede in der Auslegung dessen, was ein Embryo sei, auf. Auch die Biopatentrichtlinie der EU enthält keine Definition des menschlichen Embryos. Offenkundig habe sich der europäische Gesetzgeber aber nicht auf nationale Rechtsvorschriften berufen wollen, sondern er wolle den Ausdruck "menschlicher Embryo" als eigenständigen und in ganz Europa einheitlich auslegenden Begriff des EU-Rechts verstanden wissen.
Nach Lesart der Richter meint die Biopatentrichtlinie mit dem menschlichen Embryo nicht nur jede Eizelle vom Moment ihrer Befruchtung an, sondern auch entwicklungsfähige Zellen, die durch Klonen entstanden sind. Diese Definition ist fragwürdig. Wer glaubt, die ethische Debatte über den Status des Embryos werde durch das europäische Gerichtsurteil beendet, der irrt. Ebenso gibt es ethische Argumente für die Verwendung von Embryonen für die Stammzellforschung – sofern die Embryonen nicht zu Forschungszwecken erzeugt, sondern bei der In-Vitro-Fertilisation anfallen und nicht mehr zur Fortpflanzung genutzt werden.
Ein Widerspruch: Patente auf Gewebe von Föten sind erlaubt
Wenn der europäische Gesetzgeber tatsächlich im Sinn hatte, was die Luxemburger Richter für offenkundig halten, dann sollte man über eine Novellierung der Biopatentrichtlinie nachdenken. Für den Ausschluss embryonaler Stammzellen von der Patentierbarkeit mag es rechtlich gute Gründe geben. Ihre Herstellung pauschal moralisch zu ächten, ist jedoch ethisch fragwürdig.
Überzählige Embryonen, die definitiv nicht mehr für die Fortpflanzung verwendet werden, lassen sich mit abgetriebenen Föten vergleichen. Nun gibt es Patente, die sich auf das Gewebe solcher Föten beziehen. Weshalb die Patente im Einklang mit den guten Sitten und der Menschenwürde stehen, Patente auf embryonale Stammzellen jedoch nicht, ist ein Widerspruch.
Mit plakativen Parolen wie "Kein Patent auf Leben" lassen sich die komplizierten patentrechtlichen und ethischen Fragen, die sich auf dem Gebiet der Biomedizin und Biotechnologie stellen, nicht beantworten. Das erforderliche Diskussionsniveau wird leider auch unterboten, wenn man das Urteil wie der Ratsvorsitzende der EKD mit den Worten quittiert: "Es gibt nur einen, der ein Patent auf menschliches Leben hat. Das ist Gott."
Das Urteil wird die Forschung kaum aufhalten
Auch wenn der Europäische Gerichtshof die Patentierbarkeit menschlicher embryonaler Stammzellen ausschließt, weist er doch ausdrücklich darauf hin, daß laut Biopatentrichtlinie Erfindungen, die einen isolierten Bestandteil des menschlichen Körpers oder einen auf eine andere Weise durch ein technisches Verfahren erzeugten Bestandteil betreffen und kommerziell nutzbar sind, keineswegs generell von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sind. Im Rahmen einer technischen Lehre können Bestandteile des menschlichen Körpers außerhalb desselben sehr wohl patentierbar sein.
Das Luxemburger Urteil wird die Forschung in Europa beeinträchtigen, aber wohl kaum aufhalten. Allerdings kann es zu einem Brain-Drain von Stammzellforschern in asiatische Länder oder in die USA kommen, wo Patente auf embryonale Stammzellen zulässig sind. Doch sind die Richter gegen mögliche Kritik an den negativen Auswirkungen auf die europäische Forschungslandschaft in Schutz zu nehmen. Gefragt ist vielmehr der europäische Gesetzgeber.
Ob patentierbar oder nicht: embryonale Stammzellen sind auch weiterhin für die Forschung wichtig. Auf längere Sicht wird neben der ethisch weniger bedenklichen Forschung mit adulten Stammzellen und induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) – Körperzellen die zu einer Art von embryonalen Stammzellen rückprogrammiert werden – auch weiter mit embryonalen Stammzellen geforscht werden. Erst kürzlich wurde in Großbritannien ein Experiment zur Behandlung einer bislang unheilbaren Augenerkrankung (Morbus Stargardt) genehmigt. Und auch die iPS-Forschung benötigt embryonale Stammzellen für Vergleichstests.
Daher: Das Ende des Rechtsstreits zwischen Brüstle und Greenpeace bedeutet keineswegs das Ende der bioethischen Debatte.
Professor Dr. Dr. h.c. Ulrich Körtner, geboren 1957, ist an der Universität Wien Vorstand des Instituts für Systematische Theologie und Religionswissenschaft der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin. Er studierte Evangelische Theologie in Bethel, Münster und Göttingen.