Ambon und Solo: Mehr religiöse Gewalt in Indonesien
Der religiöse Friede im mehrheitlich islamischen Indonesien ist äußerst brüchig. Die blutigen Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen haben in jüngster Zeit deutlich zugenommen. Immer wieder ist die Molukkeninsel Ambon Schauplatz der religiösen Streitigkeiten. Doch auch andernorts steigt die Gewalt.
18.10.2011
Von Michael Lenz

Fünf Tote, 150 zerstörte Häuser von Muslimen und Christen, tausende Flüchtlinge: Das ist die Schreckensbilanz des jüngsten Gewaltausbruches von Muslimen gegen Christen im September auf der indonesischen Insel Ambon. Wie ein Lauffeuer hatte sich per SMS die Nachricht verbreitet, ein muslimischer Taxifahrer sei von Christen zu Tode gefoltert worden. Tatsächlich war der Mann durch einen normalen Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Diese Richtigstellung durch die Polizei kam zu spät, um die Wogen wieder zu glätten.

Gut zwei Wochen nach dem Zwischenfall starben zwei Menschen bei einem Selbstmordattentat auf die protestantische Bethel Injil Sepenuh Kirche in Solo auf Java. Der islamistische Terrorist zündete die Bombe, als die Gläubigen aus der Messe kamen. 14 Kirchgänger wurden verletzt. Indonesiens Sicherheitsbehörden vermuten als Motiv für die Bombe von Solo Rache für Ambon. Dass ein bloßes Gerücht die Gewaltwelle in Ambon auslösen und das Polizeidementi nicht den "Racheakt" von Solo verhindern konnte, zeigt die Brüchigkeit des Religionsfriedens im mehrheitlich muslimischen Indonesien.

5.000 Tote bei Religionskrieg

Die International Crisis Group in Brüssel befürchtet eine Ausweitung der Spannungen auf Ambon. Auf Webseiten kündigten radikale Gruppen Explosionen an, so lange die "unterdrückerische Regierung von Indonesien" es zulasse, dass "unsere Brüder auf Ambon massakriert und ihre Häuser abgebrannt werden".
Ambon hat eine schreckliche Geschichte religiöser Gewalt. Die Insel, die zu den Molukken gehört, war zwischen 1999 und 2002 Schauplatz des bisher schwersten Gewaltausbruchs zwischen den beiden Religionen. Bei dem Krieg kamen auf beiden Seiten mehr als 5.000 Menschen ums Leben.

Fast 2.000 Kilometer liegen zwischen Ambon und Solo auf Indonesiens Hauptinsel Java. Und doch sind sich Ambon und Java nahe durch den immer größer werdenden Einfluss radikaler Islamisten. Das ist umso besorgniserregender, als auf Java mehr als die Hälfte der 240 Millionen Indonesier leben und die Metropolenregion Jakarta das politische und wirtschaftliche Zentrum Indonesiens ist. Java hat inzwischen auch den Ruf, Indonesiens Epizentrum der Gewalt gegen Minderheitsreligionen zu sein. Zielscheibe der gezielten Attacken sind Christen aller Konfessionen, aber auch als Ketzer gebrandmarkte islamische Minderheiten wie die Schiiten und die Anhänger der Glaubensrichtung Ahmadiya.

Die radikalen muslimischen Organisationen wie die Islamische Verteidigungsfront genießen die Unterstützung von Teilen des Militärs und der Polizei. Attentäter kommen in der Regel ungeschoren oder aber mit äußerst geringen Strafen davon. Ein Mann, der Anfang des Jahres in Bekasi eine protestantische Pastorin niedergestochen hatte, erhielt sieben Monate Gefängnis. Die Mörder von drei Ahmadis wurden im Juli zu Haftstrafen zwischen drei und sechs Monaten verurteilt. Keiner der Täter war wegen Mord oder Totschlag angeklagt. Ein Ahmadi wurde ebenfalls zu sechs Monaten Haft verurteilt. Sein Vergehen: Er hatte sein Leben gegen seine fanatischen Glaubensbrüder verteidigt.

Warnung vor "Talibanisierung"

Der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz Indonesiens warf der Regierung bei einem Rom-Besuch Anfang Oktober Versagen im Kampf gegen die islamischen Fundamentalisten vor. Andreas Harsono, Repräsentant der internationalen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) in Jakarta, warnt gar vor der "Talibanisierung Indonesiens". Seit dem Sturz des Diktators Suharto vor 13 Jahren habe sich der politische Islam ungehindert ausbreiten können - ein Prozess, der sich seit der Machtübernahme von Staatspräsident Susilo Bambang Yudhoyono im Jahr 2004 noch beschleunigt habe. 430 Kirchen und 180 Gotteshäuser der Ahmadiya seien seitdem Ziel von Gewalt worden, weiß Harsono und sagt: "Präsident Yudhoyonos politische Hinterlassenschaft wird in seine Tatenlosigkeit im Kampf gegen die Talibanisierung Indonesiens bestehen."

Der radikale Islam ist in Indonesien gewinnt Akzeptanz in größeren Bevölkerungskreisen. Die Mitglieder- und Anhängerzahlen der radikalen Organisationen gehen in die Hunderttausende. Sie rekrutieren erfolgreich an den Universitäten neue Mitglieder, sind an Schulen aktiv, unterwandern die religiösen und staatlichen Institutionen. Dabei sind muslimischen Indonesier mit großer Mehrheit eigentlich friedfertige Menschen und Verfechter der Pancasila, jener fünf Verfassungsprinzipien, die Indonesien als säkularen Staat definieren.

Die Verfechter eines islamischen Gottesstaates haben ihre Niederlage bei der Abstimmung über die post-koloniale Verfassung jedoch nie akzeptiert. Bei den Parlamentswahlen vor zwei Jahren fuhren die islamischen Parteien starke Verluste ein. "Die Indonesier sind an Brot-und-Butter-Themen interessiert und nicht am politischen Islam", sagt ein europäischer Diplomat in Jakarta gegenüber evangelisch.de. Die Mehrheit der Indonesier aber ist inzwischen enttäuscht, dass zu wenig von dem andauernden wirtschaftlichen Erfolg des Landes, dessen Wachstum bei sechs Prozent lag, bei ihnen ankommt. Groß ist zudem die Enttäuschung über den stagnierenden Reformprozess. Vor allem die geringen Fortschritte im Kampf gegen die Korruption lassen immer mehr Indonesier an der Demokratie und Yudhoyonos Durchsetzungskraft für Reformen zweifeln.

Sehnsucht nach dem starken Mann?

Das fördert die Sehnsucht nach dem "starken Mann". Eine Umfrage aus dem Frühjahr dieses Jahres, in der die Befragten den Idealkandidaten für die Präsidentschaftswahl 2014 beschreiben sollten, ergab: Mehr als zwei Drittel wünschen sich eine Mischung aus Militär und Intellektuellem als nächsten Präsidenten. Einer aktuellen, von der Friedrich Naumann Stiftung und dem Goethe Institut in Auftrag gegebene Umfrage, befürworten 51 Prozent der indonesischen Jugendlichen den Ersatz von Politikern durch religiöse Führungspersönlichkeiten.

Wie wenig der Präsident Herr im eigenen Haus ist, zeigt die Dauersaga um die protestantische Yasmin Gemeinde in Bogor. Bogors Bürgermeister Diani Budiarto weigert sich standhaft, das Urteil des Obersten Gerichts vom Dezember 2010 zur Genehmigung der Öffnung der Kirche der Gemeinde akzeptieren. Statt dessen mobilisiert er immer wieder radikale Muslime, die die Yasmin-Christen während der Sonntagsmessen, die sie seit Januar aus Protest auf dem Bürgersteig vor ihre Kirche feiern, belästigten, störten und bedrohten.


Michael Lenz arbeitet als Journalist in Südostasien und schreibt regelmäßig für evangelisch.de.