Mehr als 38.000 Schiffe kreuzen heute weltweit über die hohe See - am Ende dieses Jahrzehntes könnten es fast doppelt so viele sein. Dazu kommen ganz neue Sicherheitsprobleme durch den rasant zunehmenden Abbau von Erdöl und anderen Rohstoffen tief unten am Meeresgrund.
Vor anderthalb Wochen lief der 236 Meter lange Containerfrachter "Rena" vor der Nordostküste Neuseelands auf ein Riff; die 23-köpfige Besatzung des unter liberianischer Flagge fahrenden griechischen Frachters sei wohlauf, meldeten die Agenturen. Das in Hamburg gebaute Schiff solle nun freigeschleppt werden. Das dauere nur wenige Tage, versprach die Nationale Schifffahrtsbehörde MNZ, für die kommenden Tage sei ruhiges Wetter vorhergesagt.
Am nächsten Tag wurde ein Ölteppich entdeckt, fünf Kilometer lang, am darauf folgenden Tag der erste geborstene Treibstofftank. Ein Sturm toste übers Meer, die Mannschaft wurde evakuiert, alle Bergungsarbeiten ruhten. Seit Freitag droht die "Rena" zu zerbrechen. Die Tanks des Frachters sind mit rund 1.700 Tonnen Schweröl gefüllt, in mehreren Containern lagert Gefahrgut. Umweltminister Nick Smith befürchtet inzwischen, dass die schlimmste Meeres-Umweltkatastrophe des Landes seit Jahrzehnten droht.
Ein Verkehr wie auf der Autobahn
Drei Viertel unserer Erde sind mit Wasser bedeckt. Für die Ernährung der Menschheit, für Klima und Verkehr sind die Meere lebenswichtig. Über die See ziehen sich unsichtbare blaue Straßen, die Amerika, Asien und Europa miteinander verbinden und Tausende Kilometer lange Küstenregionen im Pazifik oder Indischen Ozean erschließen. An manchen Stellen ist der Verkehr so dicht wie auf der Autobahn im Ruhrgebiet und ähnlich gefahrvoll: 577 Fälle registrierte die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) 2010 in deutschen Gewässern.
"Meistens sind das Bagatellfälle mit Farbkratzern oder Beulen am Schiff und Dellen am Kai", sagt BSU-Direktor Jörg Kaufmann. Doch es kam auch zu 60 schwereren Seeunfällen, mit Kollisionen von Schiffen, Millionenschäden, Verletzten und Toten. Weltweit schätzen Experten die Zahl gefährlicher Unglücke, die auch die Umwelt gefährden können, auf mehrere Hundert pro Jahr. Und Gründe für Unfälle gibt es viele. Sie reichen von Mängeln am Schiff bis zu menschlichen Fehlern. Zudem sparte Neuseeland - vielfach gelobter Vorreiter bei der Haushaltskonsolidierung - in seinem riskanten Seegebiet an (teuren) automatischen Bojen, von denen die Besatzung rechtzeitig gewarnt worden wäre.
Hätte eine Doppelhülle die Katastrophe verhindert?
Technisch und menschlich sei viel mehr Sicherheit möglich, als sich Reeder und Staaten leisten, mahnt Ralf Sören Marquardt vom Verband für Schiffbau und Meerestechnik: "Wir fordern eine wesentlich bessere Ausbildung der Besatzungen, die vermehrte Ausweisung von Sicherheitszonen und eine häufigere Einführung von Lotsenpflicht, Schiffsüberwachungssystemen und anderes."
International sind Doppelhüllen für neue Tankschiffe vorgeschrieben und seit 2007 sind auch Doppelhüllen für die Treibstofftanks bei allen Schiffstypen vorgeschrieben. "Große Containerschiffe führen in ihren Bunkertanks ähnlich große Schwerölmengen mit sich, wie kleinere Tanker als Ladung transportieren", sagt Schiffbauexperte Marquardt. Möglicherweise hätte eine Doppelhülle bei der bereits 1990 in Dienst gestellten "Rena" eine Umweltkatastrophe verhindern können.
"Auch auf der Brücke hat sich in den letzten zwanzig Jahren einiges getan", versichert Olaf Mager, Sprecher des Schiffs-TÜV Germanischer Lloyd. Doch den Triumph der Hochtechnologie-Sicherheit bremsen "die langwierigen Prozesse" auf hoher See. So seien "auf der Brücke selbst bei Neubauten noch Zustände wie vor 50 Jahren möglich".
Die Kontrollorganisation spricht mit 170 Stimmen
Zwar gibt es mit der Internationalen Schifffahrtsorganisation IMO eine maritime UN, doch sie benötigt für jeden Schritt einen breiten Konsens unter 170 Mitgliedsländern. So sind Doppelhüllen nur für Neubauten Pflicht. Angesichts der langen Lebensdauer der Schiffe von bis zu 30 oder 40 Jahren wird noch viel Wasser verunreinigt, bis Frachter, Tanker und Fährschiffe sicher über die Weltmeere kreuzen.
Bis dahin wird, wie beim "Rena"-Unfall, notfalls für Umweltschäden geblecht. Weltweit haben sich die Reeder dazu in 13 Clubs zusammengeschlossen, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, berichtet Olaf Fölsch. Fölsch ist Seefahrtsexperte des internationalen Versicherungsmaklers Aon.
Die Reeder-Clubs haben die Versicherungssumme auf eine Milliarde Dollar gedeckelt. "Bislang ist jedoch noch kein Fall vorgekommen", sagt Fölsch, "in dem diese Summe nicht ausgereicht hätte." Auch nicht bei der Exxon Valdez. Der Öltanker von Esso hatte 1989 vor Alaska die wohl größte Umweltkatastrophe in der Seefahrt ausgelöst. Daran wird die "Rena" glücklicherweise nicht heranreichen.
Hermannus Pfeiffer arbeitet als freier Wirtschaftspublizist in Hamburg.