Sie hat das immer wieder erlebt: Wenn Havva Arik anfängt zu sprechen und nicht Deutsch, sondern Türkisch redet, dann bricht ihr Gegenüber in Tränen aus. "Die sind so erleichtert", sagt die Pflegemanagerin, die in Berlin-Schöneberg in der Patientenberatung arbeitet. Endlich redet jemand in ihrer Muttersprache, jemand aus ihrer eigenen Kultur. Endlich versteht sie jemand.
Türkische Einwanderer, Männer und Frauen, die nie richtig Deutsch gelernt haben und nun alt oder krank werden, haben es besonders schwer im deutschen Gesundheitswesen. Nicht, weil sie schlechter versorgt würden als alle anderen - sondern weil sie mit der Bürokratie überfordert sind und sich verlassen fühlen. "Wenn diese Patienten oder ihre Angehörigen schließlich bei mir ankommen", sagt Havva Arik, "dann sind sie meist monatelang von einer Stelle zur anderen geschickt worden." Die 45-Jährige, die ihre Berufslaufbahn als Krankenschwester begonnen hat, ist dann auch als Trösterin gefragt.
Wie soll jemand klarkommen, der kein deutsch kann?
Wenn schon die meisten Deutschen mit den bürokratischen Feinheiten des deutschen Gesundheitswesens nicht allein zurechtkommen, wie dann jemand, der kaum Deutsch kann? Seit drei Monaten bietet die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) bundesweit zwei Hotlines auf Türkisch und Russisch an. Außerdem gibt es vier direkte Anlaufstellen: In Nürnberg und Dortmund, wo viele Aussiedler leben, wird Russisch gesprochen, in Berlin und Stuttgart Türkisch.
Havva Arik, die seit sechs Jahren in der Patientenberatung arbeitet, koordiniert die fremdsprachigen Hotlines und leitet die interkulturellen Aktivitäten der UPD. In Berlin hat sie die türkischsprachige Beratung bereits in einem Modellprojekt erprobt. Für die Finanzierung der neuen Hotlines und der Berater sorgen die privaten Krankenversicherungen. Die unabhängige kostenlose Patientenberatung wird mit rund 5,2 Millionen Euro im Jahr von den Krankenkassen finanziert und vom Sozialverband VdK, den Verbraucherzentralen und dem Verbund unabhängige Patientenberatung getragen.
16 Millionen Menschen mit einem Migrationshintergrund leben in Deutschland, drei Millionen aus der Türkei, nahezu weitere drei Millionen aus der Sowjetunion und den Nachfolgestaaten. Es sind also die beiden größten Gruppen, denen nun ein Angebot gemacht wird.
Erst am falschen Arm operiert - dann am richtigen
Die Beraterinnen und Berater, darunter Ärzte, Krankenschwestern, Pädagogen und Juristen, werden mit allen nur denkbaren Fragen konfrontiert. Da gibt es die Familie, die eine Haushaltshilfe braucht, weil die Mutter im Krankenhaus ist. Da gibt es den 65-jährigen Ukrainer, der in seinem Heimatland in der Reha-Klinik war und nun die Anwendungen, die ihm sein deutscher Hausarzt verschrieben hat, von der Krankenkasse erstattet haben will. Und da ist die Türkin, die am falschen Arm - und danach am richtigen - operiert worden ist. Sie hat sich mit dem Chirurg auf eine Entschädigung geeinigt, ist nun aber unsicher geworden, ob sie sich nicht doch besser an ein Gericht wenden sollte. Sie alle landen im Büro von Havva Arik und ihren Kolleginnen.
[listbox:title=Telefonnummern[Die vom deutschen Festnetz aus kostenlosen Hotlines sind erreichbar jeweils von montags bis mittwochs von 10 bis 12 Uhr sowie von 15 bis 17 Uhr unter den Rufnummern##0800-0117723 (Türkisch),##0800-0117724 (Russisch),##0800-0117722 (Deutsch),##jeweils montags bis freitags von 10 bis 18 Uhr und donnerstags bis 20 Uhr.]]
Dort fassen sie schnell Vertrauen zu der Frau, die ihre Sprache spricht, und neigen dazu, nun ihrerseits die Beraterin zu überfordern. "So hoch wie das Vertrauen ist, so hoch sind dann auch die Erwartungen", sagt Arik. Sie versucht, Wege zu finden. Sie lässt sich Anträge und Unterlagen schicken und schaut sie selbst durch. Weiterleiten kann sie die Ratssuchenden nur, wenn es, etwa bei einer Krankenkasse, Angebote oder Broschüren in ihrer Muttersprache gibt.
Die Deutschen verstünden ihr Gesundheitswesen auch nicht, sagt Arik. Aber da helfe es manchmal schon, "wenn ich einen Musterbrief mitgebe". Bei Einwanderern, die kaum Deutsch sprechen, sei das natürlich anders. Dazu komme, dass die Muttersprache "wie ein Türöffner wirkt". Wenn die Schleusen einmal offen seien, "dann kommt oft soviel hoch". Erst geht es um die Praxisgebühr und dann unversehens um die ganze, familiäre, finanzielle und soziale Situation.