Foto: Diakonie Katastrophenhilfe
Sylvia Haddad setzt sich mit ihrer Organisation dafür ein, dass Flüchtlingskinder Bildung und Ausbildung erhalten.
Mehr Rechte für Flüchtlingskinder
Seit Jahren bekämpfen Sozialverbände das Asylbewerberleistungsgesetz. Jetzt haben sich 40 Initiativen zu einer Internetkampagne zusammengetan, die Flüchtlingskindern ein besseres Leben ermöglichen will. Der Druck auf die Bundesregierung steigt.

"Gleiches Recht für alle Kinder" - so steht es in der UN-Kinderrechtskonvention, die seit Mai 2010 ohne Vorbehalte auch in Deutschland gilt. Dennoch verweigere die Bundesregierung 40.000 Flüchtlingskindern gleiche Rechte, ein Aufwachsen in Würde und die Chance auf eine gute Bildung, beklagen Wohlfahrtsverbände und Kinderschutzinitiativen. Im Zentrum ihrer Kritik steht das Asylbewerberleistungsgesetz. Es schaffe "Kinder zweiter Klasse". Denn Flüchtlingskinder sind schlechter gestellt als Kinder aus Hartz-IV-Familien.

Parvaneh Ghorishi ringt fast täglich mit den Folgen des Asylbewerberleistungsgesetzes. Die Psychologin arbeitet im Evangelischen Zentrum für Beratung und Therapie in Frankfurt am Main. Über 300 "Klienten" wurden 2010 begleitet, Tendenz steigend. Ghorishi kümmert sich auch um minderjährige Flüchtlinge, die ohne ihre Eltern nach Deutschland gekommen sind. Zwar leben die Mädchen und Jungen in Einrichtungen der Jugendhilfe, doch psychosoziale Beratung und die Vermittlung von Therapien ist Sache von Ghorishi und ihren Kollegen.

"Es gibt eine ganze Palette von Problemen", berichtet die aus dem Iran stammende Kurdin. Die Jugendlichen stünden unter enormem Druck, hätten Gewalt und Vertreibung erlebt und "manchmal eine halbe Weltreise hinter sich". Dazu komme die Trennung von ihren Familien. Viele seien isoliert und sprächen kein Deutsch. "Unter solchen Bedingungen ist es schwer, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen."

Die Diakonie hält das Asylbewerberleistungsgesetz für verfassungswidrig

Ihre Kollegin Farah Haidari versteht ebenfalls nicht, warum viele Bestimmungen die Integration von Ausländern behindern. Sie berät Zuwanderer in sozialen Fragen. Haidari hofft, dass das Bildungspaket der Bundesregierung bald auch allen Flüchtlingskindern zusteht. "Das ist von der Idee her eine gute Sache." Allerdings seien ausländische Eltern, die kein Deutsch sprächen, allein kaum in der Lage, ihr Recht auf Erstattung von Vereinsbeiträgen, Nachhilfekosten oder Ausgaben für Klassenfahrten einzuklagen.

"Kinder, die miserablen Lebensverhältnissen entfliehen, dürfen nicht ein weiteres Mal um ihre Entwicklungschancen gebracht werden", sagt Lothar Krappmann, Professor und Schirmherr der Kampagne "Jetzt erst Recht(e) für Flüchtlingskinder". Die Initiative wird von über 40 Verbänden unterstützt und hat seit Juli über 36.600 Unterschriften im Internet gesammelt, mit denen die Unterzeichner die Regierung auffordern, die Diskriminierung von Flüchtlingskindern zu beenden. Krappmann reicht es nicht, das Asylbewerberleistungsgesetz zu kippen. Auch das Jugendhilferecht, zahlreiche Sozialgesetze sowie das Aufenthaltsgesetz gehörten auf den Prüfstand.

Die Diakonie gehört zu den Trägern der Kampagne. Sie hält das Asylbewerberleistungsgesetz für verfassungswidrig. "Es kann nicht zwei Fassungen für das soziokulturelle Existenzminimum geben", betont Diakonie-Präsident Johannes Stockmeier und weist darauf hin, dass die Sozialleistungen für Flüchtlingskinder im Durchschnitt um mehr als ein Drittel unter den Regelsätzen für Kinder aus Hartz-IV-Familien liegen.

In die sozialpolitische Debatte ist Bewegung gekommen

In die sozialpolitische Debatte ist Bewegung gekommen. Auslöser war einmal mehr das Bundesverfassungsgericht. Es hatte im Februar 2010 entschieden, dass die Hartz-IV-Regelsätze willkürlich festgelegt und damit verfassungswidrig seien.

Vor diesem Hintergrund urteilte Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, dass auch die Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes ebenfalls ohne nachvollziehbare Kriterien festgelegt wurden und damit gegen das Grundgesetz verstoßen. Das Gericht hat dieses und ein weiteres Verfahren dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Mit einem Urteil ist im nächsten Jahr zu rechnen.

epd