Thema des Monats in der evangelisch.de-Community ist der Umgang mit homosexuellen Christen. Wer sich in seiner eigenen Gemeinde als Christin oder Christ nicht angenommen fühlt, steht vor der Entscheidung, ob er sich einer anderen Gemeinde anschließen soll. Konkret wird im Diskussionsforum gefragt: Sollen sich Schwule und Lesben zu eigenen Gemeinden zusammenschließen? Dann ließe sich diese Frage verallgemeinern: Braucht es auch eigene Gemeinden für junge Familien? Für Singles? Für Senioren und Seniorinnen? Oder ist es theologisch sinnvoller, am Konzept der einen Gemeinde für alle festzuhalten? Oder sind Mischformen das Beste?
Als Anstoß für die weitere Diskussion hat evangelisch.de Hans-Hermann Pompe um einen Impuls zum Thema „Zielgruppengemeinden“ aus der Perspektive des Gemeindeaufbaus gebeten.
Die Diskussion im Forum, auch die sachliche Begleitung durch die Moderation, habe ich mit hohem Interesse gelesen. Zunächst einmal: Respekt für diesen Ton und Umgang miteinander! Die überwiegende Mehrzahl der Beiträge war offen, ehrlich und ging auch achtsam mit den andern um. Das ist nicht selbstverständlich im Netz, auch nicht, wo es um Homosexualität geht.
Wahrheit und Liebe gehören zusammen
Sind Zielgruppen-Gemeinden für homosexuelle Christinnen und Christen sinnvoll? Was diese Frage betrifft, so kann ich nicht pauschal, geschweige denn für jede Situation gleich beantworten. Aber falls mich jemand persönlich fragt, würde ich so antworten: Wahrheit und Liebe sind biblisch Geschwister: Man bekommt sie nur im Doppelpack. Im Epheserbrief (4,15) heißt es, dass wir die Liebe in der Wahrheit festhalten, also wahrhaftig sein sollen in der Liebe. Ich deute das so: Wo es geht, Offenheit und Gespräch in Respekt und Annahme. Ob Betroffene diesen Weg der Ehrlichkeit gehen wollen, müssen sie selber entscheiden. Für die versammelte Gemeinde ist das Annehmen der Wirklichkeit allemal besser. Aber es gibt Gemeinden, die Angst vor Ehrlichkeit haben – nicht nur bei diesem Thema. Und Angst schafft keine Offenheit.
Umgemeindung ist auch eine Option
Meinungen, Einstellungen, Erwartungen und Haltungen werden – wie alle Überzeugungen – im Kontext von gelingenden Beziehungen gebildet und verändert. Wer Menschen mit anderen Lebensmustern kennen und schätzen lernt, für den relativieren sich unterschiedliche Weisen der Sexualität. Ich traue der Kraft von tragfähigen Beziehungen in einer lebendigen Gemeinde eine Menge zu. Wenn eine Gemeinde sich mehrheitlich schwer tut mit Spielarten von erwachsener Sexualität und ungewöhnlichen Lebensformen, auch mit gelebter Homosexualität, dann ist eine Güterabwägung durch diejenigen sinnvoll, die es betrifft. Entweder gehen sie den (häufig schweren) Weg durch Ablehnung und Widerstand, und sie sind bereit ihren Preis dafür zu bezahlen. Oder sie wechseln die Gemeinde. Wir haben in der evangelischen Kirche die Möglichkeit, dass man sich mit allen Rechten und Pflichten in eine andere Kirchengemeinde umgemeinden lassen kann. Das machen Menschen aus sehr unterschiedlichen Gründen, z.B. weil ihnen die Kultur, die Verkündigung, die Angebote, die Kinderfreundlichkeit oder bestimmte Aspekte einer anderen Gemeinde gefallen.
Zielgruppengemeinden sollen neue Menschen erreichen
Ehrlich gesagt: Viele versammelte Gemeinden sind faktisch Zielgruppengemeinden mit engen Milieuschranken, sie merken es nur nicht. Trotzdem würde ich Zielgruppengemeinden hier an dieser Frage nicht zu schnell ins Spiel bringen, kenne in Deutschland auch keine dieser Art. Ich halte sie an einigen Stellen (z.B. im Junge-Erwachsenen-Bereich) für einen Hebel der Innovation und ermutige dazu als eine Möglichkeit der Veränderung. Aber Zugang und Motiv sind dann anders: Zielgruppengemeinden werden gestartet, um Unerreichte zu erreichen und nicht, um ausgeschlossenen Menschen Gemeinde zu ermöglichen.
Ein kurzer persönlicher Schluss. Ich lebe mit der Bibel und sie ist meine Lebensreferenz. Bis heute bekomme ich die (wenigen) Aussagen der Bibel zu Homosexualität nicht zusammen mit den Schwulen und Lesben, die ich kennen gelernt oder begleitet habe. Die vielen theologischen Argumentationen der letzten Jahrzehnte haben mich so oder so nicht überzeugt; hinterher war ich nicht klüger als vorher. Eines aber weiß ich: Wenn ich einmal vor Jesus stehen werde, werde ich gefragt, wie ich mit anderen Menschen umgegangen bin. Und dann zählt empfangene und geschenkte Liebe.
In unserem "Thema des Monats" ist Gelegenheit, sich über den Umgang mit lesbischen und schwulen Christen in christlichen Gemeinden auszutauschen.
Hans-Hermann Pompe ist Leiter des EKD-Zentrums "Mission in der Region", Vorsitzender der Missionale Köln und Mitglied der EKD-Synode