TV-Tipp des Tages: "Alle Zeit der Welt" (ARD)
Es kann reizvoll sein, einen Uhrmacher mit der harten Realität zu konfrontieren; etwa in Gestalt seines Bruders, der es vorzieht, Billiguhren aus China zu verkaufen und seinen Anteil am elterlichen Erbe einfordert.
14.10.2011
Von Tilmann P. Gangloff

"Alle Zeit der Welt", 21. Oktober, 20.15 Uhr im Ersten

Uhrmacher kommen aus gutem Grund höchst selten in den Genuss, Hauptfiguren filmischer Erzählungen zu werden: Sie haben schließlich alle Zeit der Welt. Andererseits kann es reizvoll sein, einen Uhrmacher mit der harten Realität zu konfrontieren; etwa in Gestalt seines Bruders, der es vorzieht, Billiguhren aus China zu verkaufen und seinen Anteil am elterlichen Erbe einfordert. Aber vielleicht wollten Martin Kluger und Maureen Herzfeld das Drehbuch zu dieser hübschen Romanze auch nur schreiben, weil sie der Versuchung nicht widerstehen konnten: Wer wäre ein besserer Adressat für die Frage "Tickst du noch richtig?" als ein Uhrmacher?

Gestellt wird sie von besagtem Bruder, und als er das tut, ist die Sache eigentlich schon gelaufen: Da hat Rudolf Wohlgemuth, der altmodische, ein wenig in die Jahre gekommene und durchaus etwas wunderliche Antiheld der Geschichte, sein kurzes Glück bereits wieder verspielt. Dabei hat es sich ohnehin eher zufällig ergeben: Als sein Bruder Klaus (Heikko Deutschmann) seinen Besuch aus Hongkong ankündigt, konstruiert der alleinstehende Rudolf (Johannes Herrschmann) flugs ein fragiles familiäres Konstrukt.

Mit Katja Weizenböck und Minna Markert

Mit Weib und (Stief-)Kind an seiner Seite, glaubt er, könne Klaus kaum auf seinem Anteil bestehen, schließlich läuft die Uhrmacherwerkstatt mehr schlecht als recht. Also bittet er Karina (Katja Weizenböck), seine Angestellte, sich als Gattin auszugeben, und Tochter Julia (Minna Markert) gleich mit in die Scheinehe zu bringen. Als Klaus von seinen Kindern erzählt, dichtet Rudolf seiner längst liebgewonnenen Leihfrau kurzerhand auch noch eine Schwangerschaft an. Der Plan geht auf, er kann das Geschäft behalten, doch der Preis dafür ist hoch: Die Ehe ist nicht mal vollzogen, da sorgt er durch sein schroffes Verhalten dafür, dass sich Karina wieder von ihm trennt.

Andrea Katzenberger hat aus der originell erzählten Romanze einen schönen Film gemacht, der über weite Strecken eine überaus angenehme Heiterkeit entwickelt, ehe die Stimmung umschlägt. Gerade Herrschmann und Weizenböck sind ein glaubwürdiges Team, das sich ebenso prächtig ergänzt wie Rudolf und Karina. Natürlich lebt "Alle Zeit der Welt" auch von den diversen kleinen und großen Missverständnissen, wenn die beiden das Leben als Paar proben oder sich als Eheleute immer wieder mit Sie ansprechen. Eine treffende Ergänzung ist die junge Minna Markert als Tochter, die eigentlich keine Lust hat, vorübergehend zum kauzigen Chef ihrer Mutter ziehen; bis sie im Nachbarhaus den angeschwärmten französischen Austauschschüler entdeckt. Heikko Deutschmann ist als vermeintlich böser Bruder ohnehin perfekt besetzt.

Gut gewählt ist auch der Drehort: Entstanden ist der Film in Goslar, das mit seinen Fachwerkhäusern einen hübschen Hintergrund für diese sympathische Romanze bildet. Eine Schlüsselrolle spielt zudem der Glockenturm, denn Rudolf erkennt: Will er Karina zurückgewinnen, muss er die Zeit anhalten.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).