Wikileaks gefährdet das Leben von Informanten
In Afrika fürchten durch Wikileaks enttarnte Quellen um ihr Leben, in China drohen Informanten existenzielle Repressalien. Die Veröffentlichung redaktionell unbearbeiteter diplomatischer US-Depeschen durch das Internetportal Wikileaks fordert erste Opfer. Vor allem in Afrika droht den in den Botschaftsberichten genannten Personen zum Teil große Gefahren.
14.10.2011
Von Dagmar Wittek

In Äthiopien sah sich Journalist Argaw Ashine nach unangenehmem und bedrohlichem Befragen durch die staatlichen Sicherheitskräfte gezwungen, seine Heimat zu verlassen. Der Reporter der größten unabhängigen Tageszeitung Äthiopiens, "Addis Neger", floh bereits Mitte September nachdem die Polizei ihn im Zusammenhang mit regierungskritischen Äußerungen, die sich in Wikileaks wiederspiegelten, verhört hatte.

In Simbabwe droht zwei Generälen die Todesstrafe. Nachdem bekannt wurde, dass sie sich während eines geheimen Treffens mit dem ehemaligen US-Botschafter abfällig über einen potentiellen Nachfolger des Präsidenten Robert Mugabe geäußert haben, müssen sie sich nun vor einem Militärgericht verantworten. In dem Gespräch mit Botschafter Charles Ray beurteilten General Fidelis Satuku und Herbert Chingono den derzeitigen Armeechef General Constantine Chiwenga als eine "politische Besetzung mit nur geringen militärischen Kenntnissen und Erfahrung". Ray hatte seinerzeit in der Depesche erwähnt, dass die Generäle "strikt zu beschützen" seien, da sie sich durch das Treffen "großen persönlichen Risiken" ausgesetzt hätten. Gegen die beiden Generäle wird derzeit wegen Hochverrats ermittelt.

Mugabe-Sprecher droht mit Konsequenzen

Vor wenigen Tagen erst beschäftigte sich das Zentralkomitee von Mugabes Partei mit der Frage, wie ernst es die Enthüllungen aus Wikileaks nehmen will. Mugabes Sprecher Rugare Gumbo sagte in der vergangenen Woche der staatlichen Zeitung "The Herald", dass sie den Inhalten der Depeschen nachgehen würden und dass involvierte Spitzenparteimitglieder mit Konsequenzen zu rechnen hätten. Gumbo bezeichnete die Enthüllungen als "bestürzend und entmutigend".

Simbabwes einstige Oppositionspartei und inzwischen gemeinsam mit Mugabe regierende MDC unter Morgan Tsvangirai tat Wikileaks als irrelevant ab. Man werde sich damit nicht weiter befassen, so Premierminister Tsvangirai gegenüber Journalisten. Dass dem nicht so ist, zeigt, dass erst letzte Woche der stellvertretende Justizminister von der MDC suspendiert wurde, weil er Tsvangirai in einer Wikileaks Depesche als "Schwächling" bezeichnet hatte.

Simbabwe ist seit geraumer Zeit ein Schwerpunktland der US-Diplomatie in Afrika. Dem von politischer und wirtschaftlicher Krise gebeutelten Land widmeten sich allein 3.000 der 251.000 veröffentlichten Depeschen. Die unredigierte Veröffentlichung der Depeschen hat in Simbabwe für Unruhe und verschärfte Macht- und Positionierungskämpfe innerhalb der Regierungspartei Zanu-PF gesorgt. Vor allem die Frage wer Nachfolger von Präsident Mugabe wird, ist vollends entbrannt. Dies insbesondere nachdem bekannt wurde, dass Zentralbankchef Gideon Gono gegenüber dem US-Botschafter sagte, dass Ärzte Präsident Mugabe nur noch eine Lebenszeit bis 2013 geben, da sein Prostatakrebs gestreut habe. Mugabe selber soll, wie es aus Diplomatenkreisen heißt, mit "Schock, Zorn und Zweifel" reagiert haben.

Warb Politbüromitglied für Sanktionen gegen Simbabwe?

Selbst Jonathan Moyo, der im Politbüro von Mugabes Zanu-PF sitzt und zum innersten Kreis des Dikators zählt, wird in den Depeschen als Informant genannt. Moyo soll gegenüber US-amerikanischen Diplomaten für Sanktionen gegen den seit über 30 Jahren autokratisch regierenden Mugabe plädiert haben. Zudem habe sich Moyo mit Virgin Tycoon Sir Richard Branson getroffen haben, um Möglichkeiten zu diskutieren den Präsidenten zu stürzen. Branson soll 2007 zusammen mit der Nichtregierungsorganisation "the elders", der zahlreiche ehemalige Staatsoberhäupter wie Jimmy Carter, Nelson Mandela und Jerry Rawlings aus Ghana angehören, eine Art Staatsstreich geplant haben.

Simbabwes linientreuer Chefankläger und Mugabe Freund, Johannes Tomana, kündigte die Aufnahme von Ermittlungen gegen die in Wikileaks genannten Politiker an: Bei der strafrechtlichen Verfolgung von Landesverrätern werde es "keine heiligen Kühe" geben, so Tomana.

Chinesische Informanten befürchten Repressalien

In China sind zwar bislang noch keine offiziellen Strafverfolgungen gegen Informanten aus den fast 30.000 sich mit China befassenden veröffentlichten Depeschen eingeleitet worden, aber regierungskritische Stimmen, die in Wikileaks erwähnt werden, haben bereits gesagt, dass sie weitere Repressalien befürchten. In China herrscht keine Meinungsfreiheit, Journalisten werden strikt kontrolliert und die Medien weitgehend zensiert.

Presseberichten zufolge sind einige Informanten aus Angst um ihre eigene Sicherheit, nicht mehr bereit sich zu äußern. Andere gaben an, dass wer einmal zum Staatsfeind erklärt werde, in China keinerlei Zukunftsperspektiven mehr habe. Ein enttarnter Universitätsprofessor in Peking sagte der "Frankfurter Rundschau", dass er sehr enttäuscht sei darüber, dass es der US-Botschaft nicht wie vereinbart gelungen sei, seine Identität zu schützen.


Dagmar Wittek arbeitet unter anderem als Afrika-Korrespondentin für den Evangelischen Pressedienst (epd).