Er ist einer der bedeutendsten Schriftsteller Algeriens - und nimmt kein Blatt vor den Mund. Boualem Sansal zählt zu den schärfsten Kritikern von Präsident Abdelaziz Bouteflika, den er für die Korruption und den Verfall der demokratischen Kultur in seiner Heimat verantwortlich macht. Am Sonntag hat Sansal in der Paulskirche in Frankfurt am Main den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten.
"Investoren wollen Algeriens Öl, aber keine Menschenrechte"
Der Autor, 1949 in den Bergen von Oran geboren, legt sich fast ausnahmslos mit allen an: mit hohen Militärs und Politikern, mit Islamisten und Geheimdiensten. Nicht zuletzt mit jenen ausländischen Investoren, die sich einzig für den Erdölpreis interessieren - und sich deshalb mit den Machthabern in Algerien gut stellen. Ihnen verübelt er, dass sie wegschauen, wenn die Menschenrechte in seinem Land mit Füßen getreten werden.
Wie sich dies auf den Alltag der Algerier auswirkt, schildert Sansal in seinen sechs Romanen und zwei Essaybänden. Er zeigt auf, wie eine Schreckensherrschaft von außen gestützt am Funktionieren gehalten werden kann. In seinem Roman "Das Dorf des Deutschen" schlägt er sogar einen Bogen vom Holocaust zum Terror der Islamisten.
Trotz allem ging Sansal nicht ins Exil nach Frankreich, wie die meisten seiner Kollegen. Er schreibt auch nicht unter Pseudonym wie beispielsweise der algerische Krimiautor Mohammed Moulessehoul, dessen ebenso hochpolitische Literatur unter dem Namen Yasmina Khadra erscheint. Sansal lebt im Küstenort Bourmerdès, nahe Algier, und trotzt allen Widrigkeiten. 2003 verlor er seinen Posten als hoher Regierungsbeamter, und seine Bücher sind in Algerien verboten, kursieren aber trotzdem.
Wieso der arabische Frühling in Algerien scheitert
Seine Analyse: Das Regime halte die algerische Bevölkerung mit Hilfe des islamistischen Terrors nieder, sagt er im Gespräch mit dem epd. "Oppositionelle werden nicht vom Regime ermordet, dieses schaut nur tatenlos zu. Sie kommen bei einem islamistischen Überfall um oder bei einem Autounfall. Keiner weiß anschließend, wer es war." Auf diese Weise werde auch die Presse- und Meinungsfreiheit untergraben.
"Sie bespitzeln Frauen- und Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften - manipulieren einflussreiche Persönlichkeiten, zum Beispiel Imame an der Spitze großer Moscheen oder Professoren und Dozenten in den Universitäten und andere wichtige Persönlichkeiten der Gesellschaft." So sei der arabische Frühling in Algerien gescheitert.
Als eine junge Protestbewegung im Februar wütend dem Beispiel Tunesiens habe folgen wollen, sei das Regime stets informiert gewesen, wer wo protestieren wolle, und habe dem entgegengewirkt: Hier eine Pro-Bouteflika-Demo organisiert, dort Regierungskritiker mit Polizeigewalt niedergeschlagen oder mit Intrigen jedes Aufbegehren im Keim erstickt.
"Sollen sie doch gehen, ich bleibe"
Wie kann Sansal in diesem Land leben? "Sollen sie doch gehen, ich bleibe", sagt er. Das Regime sei nicht dumm: "Mich als allein stehenden Schriftsteller lassen Sie agieren, um nach außen als demokratisch dazustehen." Nun könnte man annehmen, dass ein unerschrocken mutiger politischer Analytiker wie Sansal eine bestimmende Art hat. Doch dieser Literat mit silbergrauen Haaren nimmt sich persönlich nicht so wichtig. Bei nahezu allen Fragen legt er eine unaufgeregte Beharrlichkeit an den Tag.
Geht es allerdings um den Unterdrückungsstaat, fordert er voller Leidenschaft Veränderungen. Ginge es nach ihm, hätte die Jasmin-Revolution längst stattfinden sollen. Er ist kein Pessimist: Schon 2006 formulierte er in "einem zornigen und hoffnungsvollen Brief an seine Landsleute" unter dem Titel "Postlagernd: Algier" (Merlin Verlag) feinsinnig ironisch: Er wisse um "echte staatsbürgerliche Versuche, viele angeführt von Frauen, die es leid waren, ihre Männer ohne Ziel herumspazieren zu sehen".