Jeder sechste Mensch auf der Welt leidet Hunger
Der Welthungertag, wahlweise auch Welternährungstag genannt, findet jährlich am 16. Oktober statt und lenkt in diesem Jahr den Blick der Öffentlichkeit auf das Leid, dass weltweit 925 Millionen Menschen und damit 13,4 Prozent der Weltbevölkerung hungern. Im Vergleich: Europa hat 500 Millionen Einwohner.

Jeder sechste Mensch auf der Erde hungert. Anlässlich des Welternährungstags am 16. Oktober haben Vertreter des evangelischen Hilfswerks "Brot für die Welt" und der Menschenrechtsorganisation FIAN in Berlin die Politik aufgefordert, die lokale und nationale Nahrungsmittelproduktion ganz oben auf die Agenda einer nachhaltigen Hungerbekämpfung zu setzen und so dem Menschenrecht auf Nahrung Geltung zu verschaffen. Die dramatischen Ereignisse in Ostafrika seien nur die Spitze des Eisberges. Gegenwärtig würden die Ärmsten die Zeche zahlen.

Als Kernproblem bezeichnen die Organisationen die wachsende Abhängigkeit armer Länder von Nahrungsmittelimporten. Nach ihren Angaben haben sich die Kosten der weltweiten Nahrungsmittelimporte seit 2000 verdreifacht. Sie erreichen 2011 knapp eine Billion Euro. Dies treffe die ärmsten Länder, die ohnehin am Tropf des Weltmarkts hängen, am härtesten, heißt es. Die Kosten der ärmsten Länder für Nahrungsmittelimporte stiegen gegenüber 2010 um 30 Prozent - Importkosten für Getreide in Afrika südlich der Sahara doppelt so stark.

Das Menschenrecht auf Nahrung wurde lange Zeit mit Füßen getreten

Noch vor 30 Jahren waren die meisten Länder Selbstversorger. Dass sich die ärmsten Länder heute über den Weltmarkt ernähren müssten, sei das Ergebnis einer jahrzehntelangen Politik der Diskriminierung bäuerlicher Landwirtschaft, kritisieren die Organisationen. Diese Politik wurde von den Industrienationen maßgeblich (mit)bestimmt. So habe das Exportdumping europäischer Agrarüberschüsse die lokale Nahrungsproduktion in vielen afrikanischen Ländern systematisch untergraben. "Die so geschaffene Abhängigkeit reißt nun die ärmsten in den Hunger", betonte Ernährungsexperte Bernhard Walter von "Brot für die Welt". "Der Grund sind Politiken, die das Menschenrecht auf Nahrung ignorieren."

Eine Kehrtwende der Politik sei jedoch nicht in Sicht. Im von Dürre und Hunger betroffenen Kenia zum Beispiel müsse Nahrungsmittelproduktion großen Agrarexportprojekten weichen, wie Roman Herre, Agrarreferent von FIAN, berichtete. So müssten im Tana-Delta 32 Dörfer einer riesigen Zuckerrohrplantage zur Ethanolproduktion Platz machen. Das von "Brot für die Welt" und FIAN mit herausgegebene internationale "Jahrbuch zum Recht auf Nahrung 2011" (Right to Food and Nutrition Watch 2011) zeigt an Fallbeispielen, dass Verursacher von Hunger benennbar sind und zur Verantwortung gezogen werden können und müssen. Denn Hunger könne effektiv bekämpft werden.

Industrienationen müssen mit in die Verantwortung genommen werden

Die Bekämpfung des weltweiten Hungers geht auch nach Einschätzung der Deutschen Welthungerhilfe nur schleppend voran. Zuletzt hätten die Preiserhöhungen und Preisschwankungen auf dem Lebensmittelmarkt die Krise deutlich verschärft, sagte Welthungerhilfe-Präsidentin Bärbel Dieckmann. Die durch Spekulanten angeheizten Entwicklungen bei Warentermingeschäften seien eine "große Katastrophe". Zudem seien sie ein Beispiel dafür, dass die Ursachen für Hunger und Armut nicht von den Regierungen der armen Länder allein, sondern nur mit Hilfe der Industrienationen bekämpft werden können.

In der nationalen und internationalen Ernährungspolitik koste Geduld Menschenleben, mahnte Klaus von Grebmer vom Internationalen Food Policy Research Institute (IFPRI) in Washington, das zusammen mit der Welthungerhilfe den neuen Welthunger-Index veröffentlichte. Ohne mehr Anstrengungen zur Bekämpfung von Hunger und Armut werde selbst das "beschämend anspruchslose Ziel" der UN-Mitgliedstaaten, den Anteil der Hungernden bis 2015 zu halbieren, nicht erreicht, sagte Grebmer.

Sehr ernste Lage in 26 Ländern: Alle sechs Sekunden stirbt ein Kind

Der Welthunger-Index untersucht in diesem Jahr die Ursachen und Folgen der hohen Preise der vergangenen Jahre. Indikatoren für die Berechnung des Werts sind jeweils die Anteile der Unterernährten an der Bevölkerung und der untergewichtigen Kinder sowie die Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren. Der Index wurde seit 1990 insgesamt sechsmal veröffentlicht. Seitdem ist der Wert von 19,7 auf 14,7 Prozent gesunken, eine leichte Verbesserung. - Dennoch: Alle sechs Sekunden stirbt ein Kind an den Konsequenzen von Unterernährung.

Die Durchschnittswerte kaschierten jedoch starke Unterschiede zwischen einzelnen Regionen und Ländern, sagte Grebmer. Die größten Fortschritte gab es laut Index in Südostasien sowie Lateinamerika. In insgesamt 26 Ländern weltweit sei die Lage nach wie vor sehr ernst oder sogar gravierend, vor allem in Afrika. Es geht vor allem um Burundi, den Kongo, Eritrea und den Tschad.

Auch wo Lebensmittel angebaut werden, hungern Menschen auf dem Land

Ursache des Hungers sind den Angaben zufolge die steigende Verwendung von Agrarprodukten zur Herstellung von Treibstoff, die Auswirkungen des Klimawandels in Form von extremen Wetterverhältnissen sowie der Anstieg der Preisspekulation an den Agrarmärkten. Unter den daraus resultierenden Preiserhöhungen litten nicht nur Familien in Städten, sondern auch Menschen auf dem Land, die selbst Nahrungsmittel produzieren.

Während die Menschen in Deutschland etwa zwölf Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben, seien es in Entwicklungsländern rund 70 Prozent. Gemessen daran müsste in Deutschland ein Brot fast 30 Euro, ein Stück Butter 16 Euro und der Beutel Kartoffeln 50 Euro kosten.

Die Aktivitäten an den Nahrungsmittelmärkten müssten transparenter werden, forderte Dieckmann. Auch müssten neue Grenzen für exzessive Spekulationen gezogen werden. Um Hunger und Armut nicht weiter durch den Anbau von Lebensmitteln für Agrarsprit zu verschärfen, forderte sie ein Ende der Subventionen auf diese Form des Anbaus und flexiblere Beimischungsquoten im Benzin. So könne der Grundsatz Nahrung vor Agrartreibstoff am ehesten eingehalten werden.

Ziel des jährlichen Gedenktags seit 1945: "Nahrung für alle"

Der Welternährungstag wurde 1979 mit dem Ziel ins Leben gerufen, "Nahrung für alle" zu schaffen. Jedes Jahr solle er an die Aufgabe aller Staaten erinnern, den Hunger auf der Welt zu bekämpfen. Der 16. Oktober wurde deswegen als Gedenktag ausgewählt, weil am 16. Oktober 1945 die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO als Sonderorganisation der UNO in Quebec (Kanada) mit der Aufgabe gegründet wurde, die weltweite Ernährung sicherzustellen. Sie ist die größte Sonderorganisation der Vereinten Nationen und hat ihre Zentrale in Rom. Schätzungen der Welthungerhilfe zufolge sterben jedes Jahr rund 2,2 Millionen Kinder an den Folgen von Mangel- und Unterernährung. Das sind 6.027 Kinder täglich. Die Zahl der Hungernden ist zwischen 2006 und 2009 dramatisch gestiegen. Im Jahr 2009 erreichte sie einen Höchststand von 1023 Millionen Menschen.

evangelisch.de/epd