Statistik hilft bei der Verbrechensbekämpfung
Mit statistischen Auswertungen lassen sich Trends erfassen und Prognosen erstellen. Inzwischen setzen auch Polizei und Geheimdienste auf intelligente Prognosewerkzeuge. Damit wollen sie Straftaten verhindern, bevor diese passieren.
11.10.2011
Von Christiane Schulzki-Haddouti

Der Einsatz von Werkzeugen zur Verbrechensvorhersage ist längst futuristischen Szenarien entwachsen: Die Polizei von Memphis arbeitet bereits seit einigen Jahren mit einer IBM-Software, die auf der Basis von Polizeistatistiken "Hot Spots" identifiziert, das heißt Orte, an denen es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Straftaten kommt. Sie ist die Basis der sogenannten Operation "Blue CRUSH" (Crime Reduction Utilizing Statistical History).

Der britische Fernsehsender BBC entwickelte vor einiger Zeit für die Stadt Oxford eine interaktive Polizeikarte. Sie zeigt, wie es zu bestimmten Uhrzeiten an bestimmten Wochentagen zu typischen Vorfällen wie Trunkenheit, Diebstahl oder Falschparken in bestimmten Gegenden kommt. Auf solchen Kriminalitätsmustern basiert die Operation "Blue CRUSH" des Memphis Police Department. Nach dessen Angaben ließ sich seit 2006 damit die Zahl der Verbrechen um 31 Prozent reduzieren.

Erdbebenmodelle für Straftaten

Ähnliche Anwendungen wurden auch in Kalifornien, Florida und in Kanada installiert. Die Software im kalifornischen Santa Cruz beispielsweise basiert auf Rechenmodellen zur Vorhersage von Nachbeben. Sie wertet die Kriminalitätsstatistiken aus mehreren Jahren aus, um Muster zu entdecken. Außerdem werden täglich neue Daten eingegeben. Die Vorhersagen sind damit von Woche zu Woche unterschiedlich. Polizeianalyst Zach Friend sagte der New York Times, dass die Resonanz innerhalb der Polizei gut ist: "Sie überprüft die eigene Intuition oder bietet den Fokus auf eine neue Gegend, die so noch nicht auf dem Radar war."

Die Erfolge sind vorzeigbar: Die Zahl der Diebstähle ist im Vergleich zum Vorjahr um 27 Prozent zurückgegangen. Die Polizei hofft angesichts knapper werdender Personalmittel, dass die Vorhersagen eines Tages so gut werden wie Wetterprognosen.

Doch nicht nur Polizeidaten können ausgewertet werden – das Internet stellt der Menschheit so viele Daten wie noch nie zuvor zur Verfügung. Über offene Schnittstellen entwickelt sich das Netz auch über die Fusion verschiedener Datenbanken zu einer gigantischen Anwendung, die Antwort auf unterschiedlichste Fragen weiß: Wie stimmte ein Abgeordneter in der Vergangenheit ab? Wie entwickelten sich Aktienindizes? Wie wird das Wetter in einer Woche?

CIA und Google fördern Vorhersagetool

Sowohl Google als auch der CIA-nahe Wagniskapitalgeber In-Q-Tel investierten im vergangenen Jahr in ein kleines Startup mit dem waghalsigen Namen Recorded Future mehrere Millionen Dollar. Die Firma beschäftigt sich laut der Internetzeitschrift "Wired" damit, Websites, Blogs und Twitter-Accounts auszuwerten, um Beziehungen zwischen Menschen, Organisationen, Handlungen und Ereignissen herzustellen. Ziel ist es, nicht nur das, was gerade geschieht, abzubilden, sondern auch das, was künftig passieren wird.

Recorded Future zeigt auf einer Kurve die Online-Wirkung von Ereignissen und prognostiziert, wie diese sich in der Zukunft entwickeln wird. Bekannt ist eine solche Vorgehensweise schon lange aus dem Wertpapierhandel. Das prognostische "Terrorismus-Analysewerkzeug"  von Recorded Future wertet Ereignis-Typen wie "bewaffnete Überfälle", "Verhaftungen" aber auch Begriffe wie "Käufe" und "Pleiten" aus. Es verwendet Informationen über Patenteinreichungen und Produktrückrufe aber auch personenbezogene Daten über Arbeitgeberwechsel, Ausbildung und Verwandtschaftsbeziehungen.

Statistiken zeigen überraschende Ergebnisse

Auch andere Startups versuchen mathematische Gesetzmäßigkeiten aus Statistiken abzuleiten. Sean Gourley, Gründer des kalifornischen Startup Quid, fand als Promotionsstudent in Oxford anhand Echtzeit-Daten aus dem Irak-Krieg heraus, dass der asymmetrischen Dynamik der Aufständischen bekannten Machtverteilungsmodellen zugeordnet werden kann. Die Modelle zeigen, wie aufständische Gruppen mehrmals in Folge zersplittern, um sich dann wieder allmählich zusammenzufinden und Stärke zu entwickeln – und damit auch gesprächsfähig für Verhandlungen zu werden.

Dabei stellte Gourley fest: "Die Ähnlichkeit dieses Modells zu Finanzmarktmodellen zeigt eine überraschende Verbindung zwischen gewaltsamen und gewaltlosen Formen menschlichen Verhaltens." Mit seiner Firma Quid widmet sich Gourley nun zivilen Themen. Er wertet im Netz verfügbare Quellen mit mathematischen Modellen aus – zurzeit sind es über zwei Milliarden Dokumente - und spürt damit Technologietrends nach, um Anlegern Hinweise auf interessante Investments zu geben.


Christiane Schulzki-Haddouti lebt und arbeitet als freie Journalistin in Bonn.