Eugen Ruge erhält den Deutschen Buchpreis
Jahrelang hat er an an seinem Erstling gearbeitet. Am Montagabend hat Eugen Ruge für seine DDR-Familiensaga den Deutschen Buchpreis erhalten. Das schon mehrfach ausgezeichnete Werk "In Zeiten des abnehmenden Lichts" spielt zwischen 1952 und 2001 in Berlin, der Sowjetunion und Mexiko.
11.10.2011
Von Thomas Maier und Wilfried Mommert

Eine Dankesrede hat er nicht vorbereitet: "Da bin ich zu abergläubisch", sagt Eugen Ruge, als er am Montagabend im Frankfurter Rathaus für seine DDR-Familiensaga "In Zeiten des abnehmenden Lichts" den Deutschen Buchpreis erhält. Auf die Ehrung reagiert der 57-Jährige ganz nüchtern - schließlich ist er ja Mathematiker. Dabei ist die Auszeichnung so etwas wie die Krönung eines Lebenswerks. Seit der Wende hat er über seinem Roman gebrütet - und jetzt wird sein Erstlingsprosawerk gleich zum "Roman des Jahres" gewählt. Allerdings gehörte Ruge mit seinem hochgelobten Buch zu den Favoriten unter den sechs Finalisten. Ruge war 1988 aus der DDR in den Westen gegangen und hat sich bisher vor allem als Theater- und Hörfunkautor einen Namen gemacht.

Autobiografisch geprägter Generationenroman

Hoffnungen, Träume und Niederlagen der jüngeren Vergangenheit gespiegelt als "Deutschlandroman" in der Geschichte einer Familie über mehrere Generationen. Das ist kein geringer literarischer Anspruch. Eugen Ruge hat ihn mit seinem Debütroman "In Zeiten des abnehmenden Lichts" in eindrucksvoller Weise eingelöst. Für das damals noch unvollendete Manuskript war Ruge 2009 bereits mit dem von Günter Grass gestifteten Alfred-Döblin-Preis ausgezeichnet worden. "Sein Buch erzählt von der Utopie des Sozialismus, dem Preis, den sie dem Einzelnen abverlangt, und ihrem allmählichen Verlöschen", heißt es in der Begründung der siebenköpfigen Jury weiter.

Die zum leeren Ritual gewordene Geburtstagsfeier des Großvaters, eines kommunistischen Veterans, bildet den Rahmen für diese deutsche Familiensaga des 20. Jahrhunderts. Der stark autobiografisch geprägte Generationenroman ist zwischen Berlin, der Sowjetunion und Mexiko angesiedelt. Erzählt wird aus der Perspektive des an Krebs erkrankten Enkels "Sascha" Alexander, der die DDR kurz vor ihrem Ende verlässt. Großvater Wilhelm erhält indessen zu seinem 90. Geburtstag am 1. Oktober 1989 in der DDR noch den nächsten Orden. Bis zu seiner Demenzerkrankung liest er jeden Artikel im SED-Zentralorgan "Neues Deutschland".

Ruge erzählt vor allem von den menschlichen Schicksalen und Schwächen der weitverzweigten Familie mit ihren unterschiedlichen Lebensläufen, Hoffnungen und Illusionen. Er beschreibt ihre Kämpfe um ein bisschen Glück und schildert familiäre Zwistigkeiten vor dem Hintergrund der wechselvollen politischen Ereignisse von 1952 bis 2001.

Grundsatzstreit über Sozialismus und Kapitalismus

Es geht auch um Richtungskämpfe und, wie es im Kapitel "1961" heißt, "um Reform oder Stillstand, Demokratisierung oder Rückkehr zum Stillstand". Der kommunistische Großvater hat da seine eigene Meinung angesichts der anhaltenden Flüchtlingswelle: "Dann muss man die Sektorengrenzen eben abriegeln!" 1961 wurde die Berliner Mauer gebaut. Auch die enttäuschten politischen Illusionen sind ein roter Faden im Leben der Menschen in diesem Roman. Der allerjüngste Spross, der 14-jährige Markus, will von Politik nichts mehr wissen.

Der Autor, Sohn des DDR-Historikers Wolfgang Ruge, entwirft dieses Familien- und Geschichtspanorama tagebuchartig mit oft sarkastischen Untertönen und lakonischen Randbemerkungen. Er erzählt mal nüchtern und dann wieder fast liebevoll, ohne seine Figuren bloßzustellen. Sein meist lockerer Tonfall macht das 425 Seiten dicke Werk leicht lesbar.

Es ist offensichtlich, dass Ruge wohl auch viel Selbsterlebtes mitverarbeitet hat, auch aus seiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter in DDR-Instituten. Über ein neues Buch von Christa Wolf wird diskutiert und die Frage gestellt: "Worunter litt sie, wo sie doch alles hatte?" Da ist von Thüringer Klößen, Grünkohl, russischen Gerichten, der obligaten deutschen Weihnachtsgans und immer wieder Alkohol die Rede. Da entbrennt an einem Weihnachtsabend unversehens ein Grundsatzstreit über Sozialismus und Kapitalismus.

Vorurteile gegenüber der DDR abbauen

Vor allem aber geht es um die unterschiedlichen Wege der Familienmitglieder mit ihren so konträren Wesenszügen und Charakteren. Ruge erzählt spannend und ohne späte Besserwisserei. Ruges Debüt ist kein neuer Wende-Roman, kein "neuer Tellkamp", sondern ein bewegender Deutschlandroman voller Menschlichkeit.

Das macht Ruges Buch auch für einen großen Kreis lesbar. Nicht umsonst steht es seit Wochen auf der Bestsellerliste. Das Buch zeichne sich trotz des anspruchsvollen Themas "durch große Unterhaltsamkeit und einen starken Sinn für Komik aus", stellte die Jury fest. Die Juroren ließen sich auch nicht davon abschrecken, dass Ruge vor wenigen Tagen bereits den "aspekte"-Literaturpreis erhalten hat. Von den 37.500 Euro, mit denen der Deutsche Buchpreis dotiert ist, erhält Ruge 25.000 Euro. Und natürlich die Tantiemen aus dem Bestseller. Für ihn selbst werde sich aber nichts ändern, meint er bescheiden. Er hoffe aber, dass sein Buch auch Vorurteile gegenüber der DDR abbauen könne.

dpa