Nikolaus Schneider: "Nicht mit der Waffe zum Abendmahl"
Überlegungen über den "Weg zu einem gerechten Frieden" hat der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland am Montag in einer friedenspolitischen Grundsatzrede angestellt - und manches Fragezeichen gesetzt. Schneider macht Mut, die Spannung zwischen zivilem Einsatz und notwendiger "Ultima Ratio" eines militärischen Einsatzes auszuhalten.
10.10.2011
Von K. Rüdiger Durth

Darf man mit der Waffe zum Abendmahl? "Nein", sagt der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Nikolaus Schneider, "hier muss di Bundeswehr eine andere Lösung finden." Bei seinem Besuch der Bundeswehrsoldaten in Afghanistan waren die Soldatinnen und Soldaten mit der Waffe zum Feldgottesdienst mit Abendmahl "teils sichtbar, teils unsichtbar" mit ihrer Waffe erschienen. Das sei Vorschrift, so wurde der höchste geistliche Repräsentant der über 24 Millionen evangelischer Christen belehrt, damit sich die Soldaten in jeder Situation verteidigen könnten. Für Schneider verständlich - "aber doch nicht beim Abendmahl". Vielleicht könne man ja den Gottesdienst von außen schützen, zum Beispiel.

Für Präses Schneider ist eine "klare Abzugs-Strategie" der Bundeswehr aus Afghanistan erforderlich. Diese könne freilich nur mit einem internationalen Wiederaufbauprogramm gelingen, das von einer von der afghanischen Bevölkerung legitimierten Regierung verwirklicht werde. Ein erfolgreicher Demokratisierungsprozess könne nur von der Bevölkerung ausgehen. Ansätze dafür gebe es in der afghanischen Tradition, die man endlich nutzen müsse. Und der in Afghanistan erforderliche zivile Aufbau müsse durch den Deutschen Bundestag mandatiert werden. Zudem benötige er einen unabhängigen Auftrag und sei mit den notwendigen finanziellen Mitteln auszustatten.

Die Enthaltung der Bundesregierung im Weltsicherheitsrat zum Nato-Einsatz in Libyen findet der EKD-Ratsvorsitzende richtig und von der EKD-Friedensdenkschrift aus dem Jahr 2007 vereinbar, nach der Frieden als ein "Prozess abnehmender Gewalt und zunehmender Gerechtigkeit" zu verstehen ist. Friedensfördernde Prozesse sind innerstaatlich und zwischenstaatlich "auf die Vermeidung von Gewaltanwendung, die Förderung von Freiheit und kultureller Vielfalt sowie auf den Abbau von Not" ausgerichtet.

Im Blick auf Libyen seien "offensichtlich" nicht alle Sanktionsmöglichkeiten ausgelotet worden. Auch sei das UN-Mandat für den Nato-Einsatz in Libyen "unklar" und "extensiv" ausgelegt worden: "Der Nato-Einsatz in Libyen belegt erneut, dass eine klare Zielsetzung ebenso erforderlich ist wie ein klares Konzept für die Beendigung einer solchen Intervention."

Wie tragfähig ist eine Freiwilligenarmee?

 

Kritisch setzt sich der EKD-Ratsvorsitzende mit der Bundeswehrreform auseinander, die den Umbau der Bundeswehr in eine Freiwilligenarmee vorsieht. Das Konzept "Bürgerinnen und Bürger in Uniform" und der "Inneren Führung" habe sich über die Jahrzehnte als tragfähig erwiesen. Außerdem stehe die Bundeswehr unter dem Primat der Politik ("Sie ist Teil der Demokratie"), was ein großer Vorteil sei. Doch es stelle sich nun die Frage, ob sich diese Errungenschaften auch mit einer Freiwilligenarmee durchhalten lassen.

Nikolaus Schneider am Montag bei der Frühjahrstagung des Politischen Clubs der Evangelischen Akademie Tutzing. Foto: epd-bild/Michael McKee

Zum einen müsse gefragt werden, welche beruflichen Perspektiven sich für die große Zahl der Zeitsoldaten nach ihrem Dienst in der Bundeswehr eröffneten. Der Druck, genügend Soldaten zu gewinnen, könne unter Umständen dazu führen, qualitative Anforderungen oder Erwartungen an die Persönlichkeit von Soldatinnen und Soldaten zu senken.

Präses Schneider fordert zum einen strenge Kriterien für Auslandseinsätze der Bundeswehr und erfolgte Einsätze kritisch zu evaluieren. Außerdem sei es notwendig, nichtmilitärische Möglichkeiten für die friedliche Bearbeitung von Konflikten zu entfalten. Insgesamt sei eine breite gesellschaftliche Debatte darüber notwendig, welche Rolle die Bundeswehr im Rahmen der Außen- und Sicherheitspolitik sowie im Rahmen der Vereinten Nationen übernehmen solle.

Keinen Zweifel lässt der EKD-Ratsvorsitzende an der "kollektiven Schutzverantwortung" aufkommen, wenn es darum gehe, Menschenrechtsverletzungen massivster Art einzudämmen – wie sie gerade in scheiternden oder gescheiterten Staaten auftreten könnten. Dies müsse auf der Basis des rechtlichen Rahmens erfolgen, den die Vereinten Nationen 2005 mit der "Responsibility to Protect" gesetzt hätten und in der die Prävention, der Wiederaufbau und erst im Notfall "gewaltförmiges" Eingreifen im Vordergrund stehen würde. Überhaupt wäre es Schneider lieber, wenn man mehr über Polizei- als über Militäreinsätze nachdenken würde.

"Wache Kirche" gelobt

 

"Unsere Kirche ist friedensethisch wach", stellte der EKD-Ratsvorsitzende anerkennend fest. Aber die Positionen liegen oft weit auseinander. Auf der einen Seite lehnen Pazifisten aus Gründen der Nachfolge Christi jeden Gewalteinsatz ab und fordern mehr gewaltfreie Prävention und zivilen Aufbau. Auf der anderen Seite befürworten Christen den militärischen Einsatz, um als "Ultima Ratio" Menschen vor weiterer Vernichtung zu schützen. Für Schneider gibt es in diesem Spannungsfeld unterschiede im theologischen Verständnis. Und er zählt zu den Menschen, die militärische Mittel als letzte Möglichkeit nicht ausschließen. Schuldlosigkeit gibt es aus seiner Sicht in diesem Spannungsbogen nicht. Jeder muss seiner Verantwortung gerecht werden.

Gleichzeitig bekundet er jedoch seinen Respekt vor Positionen, "die auf dem Einsatz gewaltloser Mittel auch in aussichtslos erscheinenden Situationen bestehen und demzufolge den Einsatz von Gewalt als Ultima Ratio grundsätzlich ablehnen (…) In pazifistischer Überzeugung aber zuzusehen, wie andere Menschen abgeschlachtet werden und nicht 'dem Rad in die Speichen zu greifen' – diese Haltung muss sich dem theologischen Diskurs stellen."

Einig sei man sich in der Kirche, dass zivile Konfliktbearbeitung und Konflikttransformation intensiv weiterentwickelt werden müssen: "Wo Gewalt abnimmt, kann Gerechtigkeit wachsen." Das ökumenische Begleitprogramm für Frieden in Palästina und Israel, die internationalen Friedensbrigaden und -organisationen wie Sant' Egidio hätten gezeigt, dass gewaltfreie Interventionen möglich und erfolgreich seien.

Das Leitbild vom "Gerechten Frieden" hat sich noch längst nicht überall durchgesetzt. Deshalb hat der EKD-Ratsvorsitzende hinter sein Thema "Auf dem Weg zu einem Gerechten Frieden" ein Fragezeichen gesetzt. Es gibt Hoffnungszeichen, aber es wartet noch viel Arbeit. Nicht nur auf die Politik, sondern auch auf die Kirchen, deren Arbeit auf diesem Gebiet sich freilich durchaus sehen lassen kann.


K. Rüdiger Durth lebt als freier Autor in Bonn und Berlin und ist langjähriger Beobachter des politischen und kirchlichen Geschehens in Deutschland.