Herr Minister, ist die Finanzkrise auch für die Entwicklungsländer eine Gefahr?
Dirk Niebel: Wenn die Krise zunimmt, wird sie auch in Entwicklungsländern zu spüren sein, und zwar stärker als in den Industrienationen. Eine Ausnahme sind lediglich die ärmsten Staaten, die gar nicht in die Weltwirtschaft integriert sind. Aber wer etwas zu verlieren hat, wird merken, dass die Kaufkraft der Industrieländer nachlässt und die Investitionen sinken.
Inwiefern belastet die Eurokrise die Finanzierung der Entwicklungshilfe?
Niebel: Das ist nicht absehbar. Wenn der Euro an Wert verliert, wird der finanzielle Spielraum enger. Welche Staaten aufgrund klammer Kassen ihre Zusagen nicht einhalten werden, lässt sich aber nicht abschätzen.
In Deutschland sieht die mittelfristige Finanzplanung Kürzungen in Ihrem Sechs-Milliarden-Haushalt vor. Bleibt es dabei?
Niebel: Im Etat 2012 sind 114 Millionen Euro mehr als im Vorjahr vorgesehen - damit haben wir die ursprüngliche mittelfristige Finanzplanung um 560 Millionen Euro übertreffen können. Die Bundeskanzlerin hat beim Millenniumsgipfel in New York noch einmal deutlich gemacht, dass Deutschland an dem Ziel festhält, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe zu verwenden. Das Ziel soll 2015 erreicht werden. Deshalb glaube ich, dass sich der positive Trend nicht nur fortsetzen, sondern sogar beschleunigen wird.
Im Moment liegt die Quote bei 0,38 Prozent. Was ist mit neuen Finanzierungsinstrumenten? Sie haben einen Entwicklungsschatzbrief angekündigt, damit Bürger Geld für einen guten Zweck anlegen können.
Niebel: Wir prüfen den Schatzbrief noch. Die erste Rückmeldung von der Finanzagentur des Bundes liegt vor. Die Idee ist, dass Anleger auf Zinsen verzichten, die dann der Entwicklung zugutekommen. Im Moment sind die Zinsen am Markt aber so niedrig, dass die Gutachter zweifeln, ob die Einführung lohnt. Ich bin noch nicht ganz von dem Schatzbrief ab, aber weniger optimistisch als zu Beginn.
2014 könnte in der EU die Finanztransaktionssteuer kommen. Vor einem Jahr haben Sie sie rundweg abgelehnt. Sehen Sie das jetzt anders?
Niebel: Wir sind angetreten, Steuern zu senken und keine neuen Steuern zu erfinden. Das sehe ich nach wie vor so. Aber die Bundesregierung hat vereinbart, diese Steuer international oder europaweit einzuführen, und dazu stehe ich natürlich. Wir können aber auch mehr erreichen, indem wir die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit verbessern. Einen ersten Schritt haben wir im Haushaltsentwurf mit der Erweiterung des Gewährleistungsrahmens getan, um mehr Kredite an Schwellenländer vergeben zu können. Wenn wir Geld am Markt aufnehmen, können wir mit einem Euro Steuergeld bis zu zehn Euro Kredit vergeben. Die Zuschüsse bleiben für die ärmsten Länder.
"Die 1.100 Fonds
der Vereinten Nationen
sind nicht effizient"
Sie wollen die multilaterale Zusammenarbeit über internationale Institutionen auf ein Drittel beschränken, und die bilaterale Kooperation direkt von Land zu Land ausweiten. Mit welcher Begründung?
Niebel: Der Koalitionsvertrag sieht das so vor. Ich finde eine feste Quote im Grunde realitätsfern. Denn es kommt auf die Situation an, ob ich etwa in Somalia bilateral oder über internationale Organisationen mehr bewirken kann. Die bilaterale Zusammenarbeit hat im Moment einen Anteil von 62 Prozent.
Hegen Sie grundsätzlich ein Misstrauen gegenüber UN-Organisationen?
Niebel: Nein, überhaupt nicht. Was mich im multilateralen Bereich aber am meisten stört, sind die vielen Doppelungen. Es gibt über 1.100 Fonds bei den Vereinten Nationen. Viele davon machen das Gleiche, haben aber einen eigenen Verwaltungsapparat. Das ist - Entschuldigung - nicht effizient. Ich sehe da einen erheblichen Reformbedarf.
Aber auch bei der bilateralen Zusammenarbeit fehlt es doch häufig an Transparenz, wenn jedes Geberland seine eigenen Projekte in einem Empfängerland betreibt.
Niebel: Dazu beteiligen wir uns vor Ort intensiv an der Geberkoordinierung. Aber es ist schwierig mit den neuen Spielern auf dem Feld wie China, Indien, Brasilien und Südafrika, die sich an der Abstimmung nur teilweise beteiligen. Im Südsudan, der Anfang Juli unabhängig wurde, plädiere ich ganz stark für eine gemeinsame Programmierung der Maßnahmen. Wenn dort 27 EU-Länder und die EU-Kommission tätig werden, ist die Verwaltung in Juba schlicht überfordert. Ich bin dafür, dass die EU-Kommission den Bedarf abklärt und die Programme aufstellt, und dann unter den Mitgliedsländern erfragt, wer was beisteuern kann.
"Wir wissen zu wenig
über die Wirksamkeit"
Sie sind bald zwei Jahre Entwicklungsminister, wie fällt Ihre Halbzeitbilanz aus?
Niebel: Wir haben einiges auf den Weg gebracht, wie das Konzept für ländliche Entwicklung. Eine ganz zentrale Aufgabe wird weiter die Vorfeldreform sein. Der Zusammenschluss von drei Organisationen zur GIZ, die ja rechtlich seit 1. Januar in Kraft ist, wird jetzt praktisch umgesetzt. Wir haben auch vor, ein unabhängiges Evaluierungsinstitut zu gründen. Wir wissen zu wenig über die Wirksamkeit von Entwicklungszusammenarbeit. Und wir werden die zentrale Servicestelle für zivilgesellschaftliches und kommunales Engagement Anfang nächsten Jahres gründen. Damit fassen wir acht Institutionen zusammen und verbessern den Service. Erstmals beziehen wir auch das große Engagement der Kommunen mit ein, etwa die vielen Städtepartnerschaften mit Entwicklungsländern.
Wie weit ist der Plan gediehen, die Zahl der Partnerländer zu beschränken?
Niebel: Die Liste der Länder, mit denen wir sehr intensiv zusammenarbeiten, wird gemäß Koalitionsvertrag von 57 auf 50 schrumpfen. Die Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt ist erfolgt, jetzt kommt die Diskussion mit dem Parlament.
Wie viele Länder haben Sie in ihren zwei Jahren bereist?
Niebel: In diesem Jahr waren es 34, im Jahr davor 32, Trips zur Weltbank nach Washington oder zu den UN nach New York eingeschlossen. In Afghanistan war ich insgesamt vier Mal.
Werden Sie weiter so viel unterwegs sein?
Niebel: Selbstverständlich. Es ist für mich wichtig, zu sehen, was vor Ort passiert. Auch für die Partnerländer sind die Besuche wichtig und ein Zeichen der Wertschätzung. Bei manchen Ländern halte ich es für meine absolute Verpflichtung, hinzureisen, etwa nach Afghanistan, wo neben Bundeswehrsoldaten viele zivile Aufbauhelfer im Einsatz sind. Durch die Reisen kann ich auch die Entwicklungspolitik bekannter machen. Es ist mein Ziel, dieses Politikfeld aus der politischen Kuschelecke in die Mitte der Gesellschaft zu holen.
Was meinen Sie mit Kuschelecke?
Niebel: Ich denke da an den selbst gestrickten Alpaka-Pullover und Tanztherapie zur Traumabewältigung. Ich mag auch das Wort "Entwicklungshilfe" nicht, weil es impliziert, dass einer gibt und der andere nimmt. In einer globalisierten Welt profitieren alle von Entwicklungszusammenarbeit, auch der, der sie finanziert, nicht nur, weil es finanzielle Rückflüsse gibt. Reine Wohltätigkeit ist nur in absoluten Notlagen wie jetzt bei der Hungerkrise am Horn von Afrika sinnvoll. Nachhaltige Entwicklung ist etwas anderes und braucht vor allem Reformen in den Ländern selbst.
"Mein Traum ist eine Fair-Trade-Fabrik,
die meine Mütze nachproduziert."
Mit ihrer Militärmütze wirken Sie alles andere als kuschelig. Mittlerweile haben Sie eine große Sammlung von Mützen von Ihren Reisen mitgebracht. Zeit für einen Wechsel?
Niebel: Im Gegenteil. Mein Traum ist eine Fair-Trade-Fabrik in einem Entwicklungsland, die in großem Stil meine Mütze nachproduziert, die ich dann an Journalisten verteilen kann.
Politik heißt Bewegung. Können Sie sich auch ein anderes Amt vorstellen als Entwicklungsminister?
Niebel: Ich bin sehr zufrieden da, wo ich bin. Veränderungen bringt das Leben immer mit sich, man muss sie annehmen, wenn sie kommen.