Eine Arbeitsgruppe des Runden Tisches der Bundesregierung einigte sich am Dienstag in Berlin darauf, dass auch Opfer von verjährten Fällen Hilfen erhalten sollen, teilte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) im Anschluss an die Sitzung mit. Der Staat wird dabei maximal 10.000 Euro pro Betroffenem zahlen. Die Opfer erhalten direkt kein Geld. Das Konzept muss noch vom Runden Tisch beschlossen werden, der am 30. November zum letzten Mal tagen soll. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) begrüßte die Lösung.
Die Arbeitsgruppe war sich einig, dass Institutionen, in denen Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht wurden, selbst für die Hilfen aufkommen sollen, vor allem, wenn es um Schmerzensgeld geht. Die Verantwortung der Täter dürfe nicht verschleiert werden, heißt es in den Empfehlungen an den Runden Tisch. Dabei geht es vor allem um kirchliche Einrichtungen, Schulen und Sportvereine. Einen gemeinsamen Fonds wird es nicht geben. Für Opfer familiären Missbrauchs sollen Bund und Länder die Kosten für Hilfen übernehmen.
EKD unterstützt Hilfe für verjährte Fälle
Opfer, deren zivilrechtlichen Ansprüche auf Entschädigung verjährt sind, sollen ergänzende Hilfe bekommen. Allerdings soll dieses Hilfesystem zeitlich begrenzt werden. Die Hilfen sollen der Rehabilitation der Betroffenen dienen.
Die EKD unterstütze diese Lösung ausdrücklich, sagte der Stellvertreter des Bevollmächtigten der EKD bei der Bundesregierung, David Gill. Gill war Mitglied der Arbeitsgruppe. Die EKD habe intensiv an den Empfehlungen mitgearbeitet. Es sei jetzt den Institutionen überlassen, ob sie an die Opfer Geld zahlten, wenn die Fälle bereits verjährt seien.
Nach den Vorschlägen der Arbeitsgruppe sollen für verschiedene Leistungen die Kosten übernommen werden, wenn sie nicht von den Krankenkassen finanziert werden können: für psychotherapeutische Hilfen, für Fahrten zu Behörden oder Ärzten, für Tätigkeiten in Selbsthilfegruppen sowie für Heil- und Hilfsmittel. Ferner soll es Lotsen geben, die den Betroffenen bei der Suche nach zuständigen Behörden, Ärzten oder Therapeuten helfen. Die Arbeitsgruppe schlägt zudem vor, Defizite bei der Anwendung des Opferentschädigungsgesetzes zu beseitigen. Mit ihren Empfehlungen folgt die Arbeitsgruppe weitgehend den Vorschlägen der von der Bundesregierung eingesetzten unabhängigen Missbrauchsbeauftragten Christine Bergmann (SPD).
Opfervertreter fordern weiterhin starke Missbrauchsbeauftragte
Nach Ansicht einer Opferinitiative muss es auch künftig eine starke, unabhängige Ansprechpartnerin für Opfer sexuellen Missbrauchs auf Bundesebene geben. "Wir brauchen eine Stelle, die die entsprechende Wahrnehmung und Wertigkeit in der Öffentlichkeit hat", forderte Matthias Katsch von der Bundesinitiative für Betroffene von sexualisierter Gewalt und Missbrauch im Kindesalter im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa.
Die bisherige unabhängige Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Christine Bergmann, scheidet Ende Oktober turnusgemäß aus dem Amt. Es gibt Pläne, ihre Anlaufstelle zu erhalten - allerdings ist laut Katsch noch offen, in welcher Form. Überlegungen, die Stelle an das Bundesfamilienministerium anzudocken, lehnte Katsch ab. "Sie darf kein administratives Kästchen unterhalb des Familienministeriums sein", sagte er.
Katsch schlug vor, die Beauftragte - wie den Wehrbeauftragten oder den Bundesdatenschutzbeauftragten - vom Parlament wählen zu lassen. Die Beauftragte müsse organisatorisch so verankert und mit finanziellen Mitteln ausgestattet sein, dass sie auch in Zukunft ihrer "Leuchtturmfunktion" gerecht werde. "Frau Bergmann hat diese Position ganz hervorragend ausgefüllt", meinte Katsch.
Als immer mehr Fälle sexuellen Missbrauchs bekanntwurden, richtete die Bundesregierung Anfang 2010 das Amt der Missbrauchsbeauftragten sowie einen Runden Tisch ein. Der Runde Tisch gibt Empfehlungen an die Politik. Katsch sagte, die künftige Missbrauchsbeauftragte müsse die Umsetzung dieser Empfehlungen kritisch begleiten können. Dazu dürfe sie nicht an ein Ministerium angeschlossen sein.