Medizin-Nobelpreis für toten Immunforscher Steinman
Erst die freudige Nachricht, dann der Schock: Wenige Stunden, nachdem sie Ralph Steinman aus Kanada als Nobelpreisträger benannt hatte, erfuhr die Nobel-Jury: Der Forscher ist tot. Er wird dennoch geehrt. Steinman forschte an Immunzellen. Er bekam Krebs und verlängerte sein Leben mit einer Therapie, die auf seinen Arbeiten basierte.
04.10.2011
Von Gisela Ostwald

Nur drei Tage fehlten dem 68-jährigen Immunologen Ralph Steinman, um die höchste Ehre seiner langen Forscherkarriere zu erleben. Er starb am Freitag an den Folgen einer Krebserkrankung. Rund 72 Stunden später krönte Stockholm seine Arbeit mit der Zuerkennung des Nobelpreises.

Den Statuten der Nobelstiftung zufolge darf diese hohe Auszeichnung eigentlich nicht posthum zuerkannt werden. Nach stundenlangem Ringen erklärte die Stiftung am Montagabend jedoch, das Verbot der posthumen Auszeichnung beziehe sich nur auf eine bewusst in diesem Sinne getroffene Wahl. Die Juroren wussten jedoch nichts von Steinmans Tod, als sie ihm den Nobelpreis zusammen mit dem Franzosen Jules A. Hoffmann und dem US-Forscher Bruce A. Beutler zuerkannten. Sein anteiliges Preisgeld von umgerechnet 550.000 Euro erhalten nun seine Angehörigen.

Die Forscher erhalten den Preis für wegweisende Arbeiten zum Immunsystem, die zu Impfstoffen und Krebstherapien führten. Nach Angaben der Rockefeller-Universität in New York, an der Steinman forschte, starb er im Alter von 68 Jahren an Krebs. Vor vier Jahren sei bei ihm Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert worden. Er habe mit einer selbstentwickelten Immuntherapie auf Basis der von ihm entdeckten dendritischen Zellen sein Leben noch verlängern können.

Steinman war "Visionär" und "großes Vorbild"

Steinmans Kollege und Nobelpreisträger Günter Blobel sprach von einer "tragischen Folge". Blobel, der ebenso wie Steinman bisher der Rockefeller Universität in New York angehört, hatte die höchste Auszeichnung für Mediziner 1999 erhalten. Er beschrieb den gebürtigen Kanadier Steinman gegenüber der Nachrichtenagentur dpa als "großartigen Forscher und wundervollen Menschen".

Großes Lob erntete Steinman auch von einem anderen deutschen Kollegen, Thomas Boehm vom Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg. "Herr Steinman hat Bahnbrechendes geleistet", sagte Boehm der dpa kurz vor Erhalt der Todesnachricht. Er rühmte Steinman als "intellektuelle Führungspersönlichkeit".

Blobel hielt sich am Montag in Italien auf, dem Heimatland seiner Frau. Er hatte die Nachricht von der Zuerkennung des Preises für einen weiteren Rockefeller-Forscher mit großer Freude aufgenommen. "Die zweite Nachricht von Steinmans Tod hat mich sehr traurig gestimmt", sagte er der dpa. Er beschrieb seinen Rockefeller-Kollegen als "besonders rücksichtsvoll und sanft. Er war ein einziges Vorbild. Ungeachtet seiner schweren Krankheit blieb er positiv und konstruktiv. Ich habe ihn nie bedrückt erlebt".

"Er wäre zutiefst geehrt"

Eine Sprecherin der Rockefeller Universität bestätigte, dass bei Steinman vor etwa vier Jahren Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert worden war. Mit einer selbstentwickelten Immuntherapie, die auf den von ihm entdeckten dendritischen Zellen basiert, "konnte er sein Leben um Jahre verlängern", sagte die Sprecherin.

Der Präsident der Universität, an der Steinman bis zu seinem Tod im Alter von 68 Jahren gearbeitet hatte, begrüßte die Ehrung des Zellbiologen für seine "bahnbrechenden Entdeckungen zu den Abwehrreaktionen des Körpers". Allerdings sei die Nachricht "bittersüß", sagte Marc Tessier-Lavigne. Auch die Universität habe erst an diesem Morgen von Ralphs Familie erfahren, dass er gestorben sei.

Steinmans Tochter Alexis wurde von der Universität mit den Worten zitiert: "Wir sind alle so berührt, dass die vieljährige harte Arbeit meines Vaters für den Nobelpreis ausgewählt wurde. ... Er wäre zutiefst geehrt".

Große Durchbrüche im Bereich der Immunologie

Der Immunologe Steinman, der 1943 in Montréal geboren wurde, hatte bereits 1973 die dendritischen Zellen entdeckt. Sie präsentieren den T-Immunzellen Bruchstücke der Eindringlinge, so dass sie die Keime erkennen und spezifisch bekämpfen können. Danach behält das Immunsystem die Bruchstücke im Gedächtnis, so dass es beim nächsten Angriff schneller reagieren kann - auf diese Weise erwirbt sich der Körper im Laufe des Lebens ein Immunsystem mit spezifischen Waffen.

Der 1941 geborene Franzose Hoffmann und der US-Amerikaner Beutler werden für Arbeiten zur Alarmierung des angeborenen Abwehrsystems geehrt, wie das Karolinska-Institut mitteilte. Hoffmann, der in Luxemburg zur Welt kam, entdeckte in der Fruchtfliege das Gen namens Toll. Es wird zur Abwehr von Eindringlingen angeschaltet. Daraufhin entsteht das Toll-Eiweiß, das Krankheitserreger erkennt und das angeborene Immunsystem alarmiert.

Der heute 53 Jahre alte Beutler, der an verschiedenen US-Universitäten forschte, entdeckte ein ähnliches Eiweiß in Mäusen und damit Säugetieren, das ebenfalls das angeborene Immunsystem aktiviert. Heute sind viele Toll-ähnliche Proteine bekannt.

"Nobelpreisträger haben Verständnis vom Immunsystem revolutioniert"

"Die diesjährigen Nobelpreisträger haben unser Verständnis vom Immunsystem revolutioniert, indem sie Schlüsselprinzipien für seine Aktivierung entdeckten", erläuterte das Karolinska-Institut. Die Erkenntnisse sind nach Angaben der Jury in vieler Hinsicht nützlich, beispielsweise für bessere Impfstoffe, für Krebstherapien und für die Behandlung von Autoimmunkrankheiten.

"Mit dem Nobelpreis werden hier große Durchbrüche im Bereich der Immunologie gewürdigt", sagte auch der Präsident der Akademie Leopoldina, Jörg Hacker. Er freue sich, dass mit Jules Hoffmann, der auch einmal an der Universität Marburg geforscht hat, ein aktives Leopoldina-Mitglied unter den Preisträgern sei. Zudem hatten alle drei Forscher schon eine Auszeichnung der Humboldt-Stiftung erhalten.

An diesem Dienstag und Mittwoch werden die Träger des Physik- und des Chemie-Nobelpreises benannt. Die feierliche Überreichung findet traditionsgemäß am 10. Dezember statt, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel.

dpa