Die Erinnerung an die Überwindung der deutschen Teilung müsse wach gehalten werden, sagte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Kraft als Gastgeberin. Die Feiern am 3. Oktober werden immer in jenem Bundesland ausgerichtet, das den Vorsitz im Bundesrat ausübt. Kraft sagte, der Freiheitswille der DDR-Bürger habe gesiegt und die Mauer der Unfreiheit buchstäblich niedergerissen. Nun gelte es, die Demokratie zu erneuern: Die Bürger müssten stärker in politische Prozesse einbezogen und gesellschaftliche Schieflagen, etwa beim Zugang zu Bildung, beseitigt werden. Die Politiker müssten das Denken in Schubladen überwinden.
Voßkuhle hob vor den Spitzen der deutschen Verfassungsorgane und der Parteien - darunter Bundespräsident Christian Wulff, Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie Bundestagspräsident Norbert Lammert (beide CDU) - die gemeinsamen Ideale und Ziele der Deutschen hervor. Sie wollten "ein Land der Freiheit, des Rechts und der Brüderlichkeit in einer starken Europäischen Union", sagte er im Plenarsaal des alten Bundestages. Dazu gehörten auch Verfassungspatriotismus, die Orientierung an der politischen Mitte und die Chance für alle Bürger, am Wohlstand der Gesellschaft teilzuhaben.
Die Mauer zum Einsturz gebracht
Wulff sagte am Sonntag, im Herbst 1989 sei es mutigen Bürgern gelungen, die Mauer zum Einsturz zu bringen: "Die Menschen konnten ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, und unser Land konnte wieder vereint werden." Für ihr beispielhaftes Engagement beim Zusammenwachsen von Ost und West wurden acht Initiativen und Menschen mit dem Einheitspreis 2011 ausgezeichnet. Nach Ansicht von Merkel können die Deutschen mit Stolz und Dankbarkeit auf die Wiedervereinigung zurückblicken. Zwar habe es Strukturumbrüche gegeben, "die mit Arbeitslosigkeit und vielem anderen verbunden waren", sagte sie in ihrer am Samstag verbreiteten wöchentlichen Internetbotschaft. Insgesamt seien die Ereignisse in den Jahren 1989/1990 aber "eine wirkliche Befreiung im umfassenden Sinne" gewesen.
Eine beispiellose Erfolgsgeschichte nannte Voßkuhle die EU. Frieden, Freiheit und Wohlstand könnten nur durch einen engen Verbund dauerhaft gewährleistet werden: "Das gilt in guten wie in schlechten Zeiten, das gilt heute und auch morgen." Kraft warnte vor dem "historischen Fehler" eines deutschen Alleingangs oder Rückzugs aus Europa. "Die Antwort auf die aktuelle Krise ist nicht weniger, sondern mehr Europa", betonte sie. Dieses Europa müsse aber "für Gerechtigkeit, sozialen Ausgleich und faire Chancen" stehen.
Schneider: Freiheit und Verantwortung leben
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, rief im ökumenischen Gottesdienst dazu auf, Freiheit und Verantwortung zu leben und Grenzen aus Misstrauen, Angst und Gier zu überwinden. "Gottes lebendiges Wort kann und wird uns von dem Zwang befreien, einander und gegeneinander Eiserne Vorhänge, Grenzen der Feindschaft und Abschottung, zu setzen", so der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland. Die Bindung an Jesus Christus schenke "uns Menschen gleichsam immer neue Kraft, um Schlagbäume zu öffnen und Grenzen zu überschreiten".
Der Kölner Kardinal Joachim Meisner sagte, auch mehr als zwei Jahrzehnte nach Ende der deutschen Teilung seien "Schlagbäume und Mauern in den Köpfen und Herzen mancher Menschen noch nicht ganz verschwunden". Viele stellten mit Erschrecken fest, "wie schnell die Erinnerungen an die brutalen atheistischen Methoden" in der DDR vergessen seien. "Helfen wir der jüngeren Generation im Hinblick auf unsere Vergangenheit mit Schlagbäumen und Mauern, die uns nun geschenkte Freiheit zu schützen, zu bewahren und zu vertiefen", mahnte der Kölner Erzbischof.
Die DDR und die Ausbürgerung Gottes
Meisner erinnerte daran, dass er die Spaltung Deutschlands als Weihbischof in Erfurt in den Jahren 1975 bis 1980 unmittelbar erlebt habe. Schlagbäume "spalteten unser Vaterland, trennten Mensch von Mensch, zerrissen familiäre und freundschaftliche Verbindungen", erklärte er. Die DDR habe sogar versucht, "Gott selbst auszubürgern". Dass die Menschen dennoch ihre "innere Freiheit" behalten hätten, sei "nicht zuletzt dem befreienden Zeichen des Kreuzesbaumes zu danken".
Hunderttausende Menschen feierten von Samstag bis Montag in der Bonner Innenstadt und am Rheinufer den Tag der deutschen Einheit sowie den 65. Gründungstag des Landes Nordrhein-Westfalen. Auf zehn Bühnen wurden mehr als 500 Programmpunkte geboten. Die Feiern zum Tag der deutschen Einheit werden immer in dem Bundesland ausgerichtet, das den Vorsitz im Bundesrat inne hat. Bonn war von 1949 bis 1990 provisorische Bundeshauptstadt und bis 1999 Regierungssitz der Bundesrepublik Deutschland.