In Tübingen "Islam" studieren - auf deutsch
24 junge Leute studieren am ersten deutschen Zentrum für islamische Theologie. Sie sollen einmal eine Schlüsselrolle bei der Integration von Muslimen übernehmen. Der Auftakt ist holprig.
30.09.2011
Von Marc Herwig

Adnan Fetic weiß schon lange, dass er beruflich irgendetwas machen will, was mit dem Islam zu tun hat. Imam zum Beispiel, wie sein Vater. Oder Religionslehrer. Vor allem aber will der 21-Jährige in Deutschland bleiben, wo er seit 14 Jahren lebt. Der gebürtige Bosnier ist einer der 24 Studenten, die in gut einer Woche an der Universität Tübingen am bundesweit ersten Zentrum für Islamische Theologie ihr Studium aufnehmen. Das Zentrum nimmt an diesem Samstag seinen Betrieb auf.

"In einem anderen Land und in einer anderen Sprache Theologie zu studieren, wäre für mich nicht infrage gekommen", sagt Fetic. "Wenn man mit den jungen Muslimen in Deutschland arbeiten will, muss man auch hier studiert haben."

Auf junge Leute wie ihn hatte Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) gehofft, als sie vor einem Jahr die insgesamt vier geplanten Islamzentren in Deutschland angeschoben hatte. Die vier Millionen Muslime in Deutschland sollen sich in der Gesellschaft heimisch fühlen, sagte sie am Freitag. Aber das geht nach Überzeugung vieler Experten nicht, wenn die Vorbeter in deutschen Moscheen vor allem aus der Türkei kommen, kein Deutsch sprechen und die westeuropäische Kultur nicht kennen.

Eines der wichtigsten Integrationsprojekte in Deutschland

"Wir brauchen Theologen, die ein besseres Gefühl für die Muslime haben, die in Deutschland leben", findet auch Farina Stockamp. Die 21-jährige Tübinger Theologie-Studentin mit buntem Kopftuch, rosa Lippenstift und dunkel geschminkten Augenlidern ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Türkisch oder Arabisch spricht die gläubige Muslima kaum. In vielen deutschen Moscheen sei das ein Problem, erzählt sie. "Wenn der Imam nicht auf Deutsch predigt, verstehe ich einfach nichts."

Professor Omar Hamdan. Foto: dpa/Tobias Kleinschmidt

Wenn Adnan Fetic und Farina Stockamp am 10. Oktober zum ersten Mal in ihre Vorlesungen gehen, dann beginnt eines der wichtigsten Integrationsprojekte in Deutschland. Zum ersten Mal werden dann muslimische Vorbeter in deutscher Sprache auf ihre Aufgaben in den Moscheen vorbereitet. Wie viele der Tübinger Studenten tatsächlich Imame werden, ist noch unklar. Die meisten werden später wohl als Religionslehrer arbeiten.

Es soll ein weltoffener Islam sein, der an der Universität Tübingen gelehrt wird, betont der bislang einzige Professor, Omar Hamdan. Der Professor, der zuletzt Mitarbeiter des islamwissenschaftlichen Instituts der Freien Universität Berlin war, studierte Islamwissenschaft, Arabistik und vergleichende Religionswissenschaft in Jerusalem und Tübingen, wo er 1995 promovierte. Er gehört einer sunnitischen Rechtsschule an. Hamdan tritt für eine Theologie ein, die sich mit der Lebenswelt der Muslime in Deutschland auseinandersetzt, sozialwissenschaftliche oder medienwissenschaftliche Erkenntnisse mit einbezieht.

Gute Büchersammlung - aber kaum gute Professoren

Dass man dabei tatsächlich Neuland betritt, merkte die Hochschule schon bei der Suche nach Professoren. Bewerber gab es viele, aber den meisten fehlten entweder fachliche Qualifikationen oder sie sprachen kein Deutsch. Sechs Professoren für islamische Theologie soll es in einigen Jahren geben - einige von ihnen wird die Uni über Junior-Professuren und ein Graduierten-Kolleg selbst ausbilden.

Der Tübinger Religionswissenschaftler Stefan Schreiner, der die Einrichtung des Zentrums begleitet hat, erklärte, Tübingen habe bundesweit die beste Sammlung an religionswissenschaftlichen Büchern sowie Sammlungen an arabischen und hebräischen Handschriften. Die Universität biete deshalb ideale Arbeitsbedingungen für Studierende und Lehrende.

Die Zulassung zum Studium der islamischen Theologie ist nicht an ein muslimisches Glaubensbekenntnis gebunden. Bundesweit entstehen vier solcher Zentren: Neben Tübingen sind das die Doppelstandorte Osnabrück/Münster, Erlangen/Nürnberg und Frankfurt/Gießen, die alle 2012 an den Start gehen. An den Hochschulen finanziert der Bund für die nächsten fünf Jahre Professuren und Mitarbeiterstellen. Insgesamt sollen fast 20 Millionen Euro in diese Standorte fließen. 

dpa/epd